Historical Platin Band 04
offene Gelände verlassen, da sie sonst rasch gefasst werden würde. Sie hastete durch eine Gruppe von Birken. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Sie bekam nicht genügend Luft. Sie war erschöpft, da sie den größten Teil der Nacht auf den Beinen gewesen war. Erst beim Morgengrauen hatte sie rasten wollen, war jedoch auf die drei Männer gestoßen und ihnen nur mit knapper Not entkommen.
Sie presste die Hand auf die Seite, in der sie stechende Schmerzen hatte, stolperte über Wurzelwerk und bemühte sich, nicht zu fallen. Ihr war klar, dass ihre Verfolger sie sofort einholen würden, sollte sie stürzen. Der Zopf hatte sich gelöst, und das Haar wirbelte ihr um den Kopf, während sie in Windungen durch das Vorholz rannte. Verzweifelt kämpfte sie gegen die stärker werdende Mutlosigkeit an. Wohin der Blick auch fiel, sie entdeckte nirgends einen Fluchtweg, kein geeignetes Versteck.
Mittlerweile vermochte sie nicht mehr abzuschätzen, wie lange sie schon vor den Männern floh. Die Kräfte ließen nach, aber sie zwang sich weiter. Sie wusste, ihr Los war besiegelt, sollten die Verfolger sie fassen. Da der Reisige am Forst entlangritt, wandte sie sich in den Tann und musste immer wieder tief hängenden Ästen ausweichen. Sie meinte, das Keuchen der Männer hinter sich zu hören, duckte sich vor einem dicken Ast und verspürte einen Herzschlag später einen harten Ruck am Kopf. Das Haar hatte sich verfangen. Verzweifelt drehte sie sich halb um, befreite es und hetzte weiter. Sie musste eine Vertiefung zwischen zwei Kiefern überspringen, schrie schmerzgepeinigt auf und wäre beinahe auf die Knie gestürzt. Halt suchend klammerte sie sich an einen Stamm und sah, dass sie auf einen spitzen Stein getreten war. Sie spürte, dass sie sich den Fuß verletzt hatte.
Verstört drehte sie sich um und kam sich wie in einer Falle vor. Sie musste alle Hoffnung fahren lassen, die Flucht fortsetzen zu können. Sie drängte sich mit dem Rücken an den Kien und zog die Waffe aus der am Gürtel befestigten Scheide. Mit zitternder Hand hielt sie den Dolch stichbereit vor sich. Der Schweiß rann ihr in die Augen, sickerte ihr über den Hals und tropfte in den runden Ausschnitt ihres Kleides. Mit der Linken schob sie sich hastig das wirre Haar aus dem Gesicht. Nun brauchte sie eine gute Sicht, Geistesgegenwart und alle Kraft, um sich der Angreifer zu erwehren. Sie konnte jedoch nur auf freie Sicht vertrauen. Sie hatte weder die Geistesgegenwart noch die Kraft, um den Dolch zu ihrer Verteidigung einzusetzen. Auch wenn ihr Leben auf dem Spiel stand, war Gewaltanwendung ihr ein Gräuel.
Ein lauter Schrei erstarb plötzlich. Sie ließ sich indes nicht ablenken. Aus entgegengesetzten Richtungen näherten sich ihr zwei Männer. Der größere hatte eine massige Gestalt und muskulöse, stark behaarte Arme, wie Seana an den Stellen, wo sein Hemd zerrissen war, erkennen konnte. Verstört starrte sie ihm einen Moment in das lüstern verzerrte Gesicht und sah dann zu dem anderen, kleineren Mann hinüber. Er hatte ein hageres Gesicht mit schiefer Nase, und der Geifer floss ihm aus dem Mund. Knurrend kam er auf Seana zu, und der Magen krampfte sich ihr zusammen. Er war gefährlicher denn sein Kumpan. Sie fragte nicht, woher sie dieses Wissen hatte, sondern nahm es als gegebene Tatsache hin. Vielleicht hatte der Allmächtige ihr Hilfeflehen gehört.
Sie fröstelte. Der Gedanke, die beiden Männer um Gnade zu bitten, kam ihr nicht. Sie wusste, sie würden nicht gnädig zu ihr sein. Der von ihnen ausgehende Gestank, ihre zerlumpte Kleidung, auf der ein Clanabzeichen nicht zu sehen war, ließen darauf schließen, dass es sich bei ihnen nicht um Landsassen handelte, die sich mit Seana vergnügen wollten, sondern um Verfemte, die eines Verbrechens wegen von ihrer Sippe verstoßen worden waren. Männer wie sie hatten kein Ehrgefühl.
„Tu ihr kein Leid an, Gerwin“, warnte Hachmar ihn. „Sonst erhalten wir unseren Lohn nicht.“
„Du hast recht, Hundsfott. Es kostet dich das Leben, wenn sie zu Schaden kommt.“
Sie schnappte nach Luft und starrte den Reiter an, von dem sie angenommen hatte, er mache mit ihren Verfolgern gemeinsame Sache. Sein Gesicht lag im Schatten. Sie blickte auf das Schwert, das er in der Hand hielt. Die Klinge triefte von Blut. Außerdem hatte er einen Sticher bei sich. Zum ersten Male erwachte in Seana die Hoffnung, nicht verloren zu sein.
„Geh von ihr weg!“, befahl Micheil, trat dem Zelter in die Flanken und hielt auf
Weitere Kostenlose Bücher