Historical Platin Band 04
„Ich sagte, dass ich dir keine Gewalt antun werde. Ruhe dich aus, Seana. Ich behellige dich nicht mehr.“
Argwöhnisch beobachtete sie ihn, während er sich mit den Schaffellen, die er dem Kasten entnommen hatte, ein Lager machte. Er legte sich nieder und schien alsbald eingeschlafen zu sein. Seana blieb sitzen und betrachtete ihn eine Weile. Doch die Kälte nötigte sie, ihre Sachen anzuziehen. Sehnsüchtig blickte sie auf das Feuer, fühlte sich jedoch durch James derart abgelenkt, dass sie hastig den Blick wieder abwandte. Sie legte sich hin und merkte, dass die Müdigkeit sie überkam.
Irgendwann schreckte etwas sie aus dem Schlaf. Ein Nachtmahr hatte sie geplagt, und geschwind presste sie die Hand auf den Mund, um nicht aufzuschreien. Sie war in kalten Schweiß gebadet. Langsam drehte sie den Kopf zur Seite und sah im rötlichen Schein der Glut James noch schlafend auf den Fellen liegen. Sogleich verließ sie das Lager, nahm die bereits an einigen Stellen zerschlissenen Schuhe an sich und huschte zu ihm. Hastig bemächtigte sie sich seines auf dem Tisch liegenden Dolches und eilte, die Waffe fest umklammernd, zur Tür. Mit einem Blick über die Schulter vergewisserte sie sich, dass James nicht aufgewacht war, und begann dann, den Strick am Riegel zu zerfasern. Schweißgebadet atmete sie erleichtert auf, als die Sperre auseinanderriss. Sie steckte den Hirschfänger unter den Gürtel und hob mit den Händen den Kloben an. Er rutschte zur Seite und stieß mit einer Ecke auf den Fußboden. Sogleich erstarrte Seana und hoffte, das Geräusch möge nicht so laut gewesen sein, wie es ihr vorgekommen war. Verstört blickte sie zu James hinüber, während sie den Schübel vorsichtig an die Wand lehnte.
Sie bemerkte, dass James sich regte, und bekam es mit der Angst. Rastlos drehte er sich um, und bang hielt sie den Atem an. Schließlich war James wieder ruhig. Sie harrte indes noch ein Weilchen aus, da er nun mit dem Gesicht zur Tür lag. Sie schickte ein Stoßgebet zum Himmel, er möge nicht munter werden und die Lider aufschlagen. Bedächtig machte sie dann die Tür einen Spalt auf und genoss den ersten Augenblick der Freiheit.
11. KAPITEL
Der Geruch des Waldes hing in der kühlen Luft. Der Himmel war Seana gnädig, da das Licht des Vollmondes ihr den Weg erhellte. Behend lief sie um den Koben und wunderte sich, dass der Stall sich an der Rückseite des Gebäudes befand. Die Bauern pflegten ihr Nutzvieh im Allgemeinen mit ins Haus zu nehmen.
Bedächtig ging sie in den Schuppen, wagte jedoch nicht, dem Schimmel etwas zuzuraunen. Sie streckte die Hand aus und hoffte, er möge sowohl ihren Geruch als auch den seines Herrn wahrnehmen, wenngleich es sie verbitterte, dass ihr der von James anhaften musste. Der Zelter hob den Kopf und stellte die Ohren auf. Seana näherte sich ihm. Er roch an ihrer Hand, schnaubte und stampfte mit den Vorderläufen. Sie berührte seine Nase. Er riss den Kopf hoch zurück, und erschrocken zuckte sie zurück.
Micheil drückte sie an sich und entriss ihr den Dolch, ehe sie danach greifen konnte. „Willst du unter die Diebe gehen, Seana?“, fragte er kalt. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass du fliehen willst.“
Wütend darüber, von ihm ertappt worden zu sein, drehte sie sich um und schlug ihm ins Gesicht. „Du bist ein Lotterbube, James!“, schrie sie ihn an.
Er griff in ihr Haar, zog ihr den Kopf zurück und presste die andere Hand hart um ihren Oberarm.
Wiewohl die Hand ihr noch vom Hieb brannte, hob sie sie erneut.
„Wage nicht, mich nochmals zu schlagen“, warnte Micheil sie barsch.
„Nur ein Feigling erhebt die Hand gegen ein Weib.“
„Ja, und wer wüsste das besser denn ein MacKendrick!“
„Du lügst!“
„Jeder im nördlichen Hochland weiß, dass dein Bruder Mistress Bridget MacGlendon misshandelt hat“, erwiderte Micheil schneidend. „Seither haben nur ihre engsten Angehörigen sie zu Gesicht bekommen.“
„Nein, das stimmt nicht. Liam hätte sie nie gezüchtigt. Er liebte sie. Du hast gelogen.“
Micheil ließ Seanas Haar los, ergriff ihren anderen Arm und presste sie an sich. „Ich habe die Wahrheit gesprochen, so wahr Gott mir helfe!“, entgegnete er und schüttelte Seana heftig.
Das Herz krampfte sich ihr zusammen. James’ Behauptung konnte nicht wahr sein. Liam hatte seine Gemahlin geliebt. Sie hatte ihn verlassen. Sie hatte der Ehe entsagt und sich geweigert, zu ihrem Gatten zurückzukehren. Seana war
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