Historical Platin Band 04
reiten können, ohne bewaffnet sein zu müssen, bar einer Eskorte, die ihn schützte. Er wünschte sich, das Kind eines Gemeinen auf die Arme heben zu können, ohne in dessen Augen Angst zu sehen. Er wollte das Klagen der Witfrauen nicht mehr hören, dem Hunger und dem Mordbrennen Einhalt geboten wissen. Er mochte nicht mehr an die von Sommer zu Sommer zahlreicher gewordenen Toten denken, die aufgrund des von ihm geleisteten heiligen Eides das Leben hatten lassen müssen, dieses Schwures, den die Schwester ihn nie vergessen machen würde. Er hörte das Scharren des Schemels auf den Bohlen und wusste, Seana hatte sich erhoben. Er meinte, ihren hasserfüllten Blick zu spüren.
„Ich frage dich zum letzten Mal, James, ob du mich ziehen lassen wirst! Ich bin keine Kreatur, die sich willig unter das Joch eines Mannes stellt.“ Seana sah, dass er die Hand um den Türrahmen krampfte, und hatte nur den Mut, weiterzusprechen, weil er sich nicht zu ihr umdrehte. Sie musste ihn auf ihre Seite ziehen, ehe er sie zu etwas nötigte, wozu sie sich nicht gut eignete. „Ich habe keine Ahnung“, fuhr sie verzweifelt fort, „ob du mich fortschaffen willst, weil du dem Oberhaupt der MacGlendons dienlich sein möchtest oder mir behilflich. Das ist mir jetzt gleich. Aber ich flehe dich an, töte mich oder lass mich frei!“
Er konnte sie nicht umbringen. „Ließe ich dich gehen, würde dich das nicht retten, Seana“, entgegnete er ruhig. „Du kannst dir vorstellen, was deine Sippe mit dir machen wird.“
„Mein Bruder würde mich nur verstoßen, wüsste er, dass ich dir beigewohnt habe.“
„Heißt das, ich soll Schweigen bewahren? Natürlich! Sonst hättest du diese Bemerkung nicht gemacht. Aber was ist, falls du empfangen haben solltest?“
„Das werde ich zu verhindern wissen!“, schrie Seana auf.
Micheil zuckte zusammen. Er wusste, die von alters her verwendeten Tränke der Kräutlerinnen führten oft dazu, dass ein Weib nicht das unerwünschte Kind verlor, sondern starb. Wiederholt hatte er sich gefragt, ob Fiona solche Mittel verwende. Ungeachtet der vielen Gelegenheiten, bei denen er sie in den vergangenen Jahren besessen hatte, war sie nie zu ihm gekommen, um ihm zu sagen, sie habe von ihm empfangen. Gewiss, er hatte sorgsam darauf geachtet, sie nicht zu begatten, doch so mancher Mann war, obwohl er die gleiche Sorgfalt walten ließ, von dem Weib, dem er beigelegen hatte, tückisch getäuscht worden.
Gedankenvoll drehte er sich um und sah Seana vor sich stehen. Ihr funkelnder Blick warnte ihn, doch er hatte nur Augen für ihre Lippen, die zum ersten Male von ihm geküsst worden waren. Ungeachtet der ihn warnenden inneren Stimme folgte er der aufwallenden Lust und griff nach Seana. „Du bist mein, Seana“, sagte er rau. „Ich kann dich nicht ziehen lassen.“
„Es tut mir leid, das zu hören“, erwiderte sie, reckte sich und drückte ihm einen Kuss auf den Mund. In dem Augenblick, da er die Lider schloss, hob sie das hinter dem Rücken verborgene Scheit und schlug es ihm an die Schläfe. Sie fing ihn im Fallen auf, ließ ihn sacht zu Boden gleiten und murmelte: „Ich wollte das nicht tun. Aber du hast mich gedemütigt. Ich hatte nur die Wahl, Gewalt mit Gewalt zu vergelten.“ Sie legte ihm die zitternde Hand auf das Herz, da sie ihn nicht hatte töten wollen, und fühlte es schwach schlagen.
Rasch lief sie an ihm vorbei zur Tür, schaute ins Freie und vergewisserte sich, dass er ohne Begleitung zur Kate gekommen war. Die Angst ließ nach, und vorsichtig verließ sie den Koben. Wachsam umrundete sie ihn und hielt Ausschau, ob irgendwo jemand im Verborgenen lauere und ihr eine Falle stelle. Der Himmel hatte ihr Flehen erhört. Geschwind machte sie sich daran, für eine erfolgreiche Flucht zu sorgen. Sie kehrte in die Hütte zurück, nahm James die Scheide mit dem Dolch vom Gürtel und holte das im Kasten verborgene Bündel, das, eingewickelt in ihren Mantel, die Lebensmittel enthielt. Sie brachte es vor die Tür, kehrte zu James zurück und zerrte ihn ins Freie.
Keuchend richtete sie sich dann auf, ging wieder in den Koben und bemühte sich, nicht an das Weib zu denken, das in diesem Raum für Ordnung gesorgt hatte. Sie dachte an ihre Sippe, an die von den MacGlendons verbrannten Felder, an das von ihnen vernichtete Hab und Gut ihrer Angehörigen. Behend riss sie die Füllung aus dem Strohsack und legte eine Spur zur Esse. Dann stellte sie die Schemel auf das Bett, schichtete das verbliebene Brennholz
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