Historical Saison Band 09
nur rasch einen kalten Imbiss zu sich nahmen, ehe sie ins Bett fielen.
Ein sehr bequemes Bett, wie Sophie sich jetzt sagte, als sie die Füße auf den Boden setzte und sich umschaute. Jemand hatte ihr eine Waschschüssel mit Wasser gebracht. Auch Handtücher lagen bereit. Gut, sie würde sich rasch fertig machen und sich dann ins Frühstückszimmer begeben.
Was mochte der erste Tag ihres neuen Lebens für sie bereithalten? Würde Lady Myers von ihr erwarten, dass sie gleich heute beim Duke of Belfont vorsprach? Die Vorstellung erfüllte sie mit Besorgnis und Unruhe. Andererseits wollte sie den Myers auf keinen Fall länger als unbedingt nötig zur Last fallen.
Wie sich herausstellte, hatte Lord Myers das Haus schon verlassen, um irgendwelchen beruflichen Pflichten nachzukommen. Lady Myers allerdings saß bei einer Tasse Tee über die Zeitung gebeugt, als Sophie eintrat.
Über einen Strauß Frühlingsblumen hinweg lächelten die Frauen einander zu.
Später – Sophie hatte ein bescheidenes Frühstück zu sich genommen – schlug Lady Myers vor, ihr Schützling solle sich etwas Neues zum Anziehen kaufen.
Sophie schaute an sich hinunter. Sie trug ein lila Musselinkleid, das so einfach geschnitten war, das man meinen konnte, es sei für ein Kind entworfen worden. Die Bündchen der kleinen Puffärmel und die hohe Taille waren mit Bändern in einem dunkleren Ton abgesetzt. Doch es gab keine Rüschen, Schleifen oder sonstige Verzierungen.
„Denken Sie, ich sollte Trauerkleidung tragen, wenn ich meinen Großonkel aufsuche?“, fragte sie unsicher.
„Denken Sie selbst das?“
Sophie schüttelte den Kopf. „Nach dem Tod meiner Mutter habe ich nicht nur um sie, sondern auch um meinen Vater getrauert. Also, ich meine, um den Mann, den ich früher gekannt hatte. Sie wissen ja selbst, wie Papa sich in den letzten Jahren verändert hat.“
Lady Myers nickte. „Lila ist sicher die richtige Farbe. Allerdings wäre ein etwas eleganteres Kleid vielleicht angemessener.“
„Ich kann mir nicht in jeder Saison eine neue Garderobe schneidern lassen, nur weil sich der Geschmack der Menschen ändert“, gestand Sophie. „Einfache Schnitte kommen zum Glück nicht so schnell aus der Mode.“
Wieder nickte ihre Freundin. Es gilt, dachte sie, das Mitleid des Duke zu wecken; und das wird sicher leichter sein, wenn seine Nichte nicht aussieht, als sei sie gerade einem Modemagazin entstiegen.
Sophie zitterte am ganzen Körper, als der Landauer der Myers in der South Audley Street vor dem Stadtpalais des Dukes zum Stehen kam. Wäre sie allein gewesen, so hätte sie wohl niemals den Mut aufgebracht, die Stufen zum Haupteingang hinaufzusteigen und den Türklopfer zu betätigen. Dabei gab es doch nichts, wovor sie sich fürchten musste! Sie war mit dem Duke of Belfont verwandt. Erst wenn er nicht bereit war, sie als Mitglied der Familie willkommen zu heißen, würde sie einen Grund haben, sich Sorgen zu machen.
„Lady Myers und Miss Sophia Langford“, erklärte Lady Myers dem Butler, der die Tür öffnete, und reichte ihm ihre Visitenkarte. „Wir möchten den Duke of Belfont in einer privaten Angelegenheit sprechen.“
„Ich werde nachschauen, ob Seine Gnaden daheim ist. Bitte nehmen Sie Platz!“ Er wies auf mehrere zierliche Stühle, die in der Eingangshalle standen.
Sophie war jedoch zu aufgeregt, um still zu sitzen. Sie schaute sich in dem beeindruckenden, mit Marmor gefliesten Raum um, bewunderte die breite Treppe, die nach oben führte, und zählte staunend die große Zahl der geschlossenen Türen, die zu den Zimmern führten, die von der Halle abgingen.
„Ich wünschte, ich wäre nicht hergekommen“, murmelte sie. „Ich fühle mich so entsetzlich unbedeutend.“
„Welch ein Unsinn!“, widersprach Lady Myers. „Warten Sie nur ab, bis …“
Da kam der Butler bereits zurück. „Bitte folgen Sie mir!“
Gleich darauf klopfte er an eine Tür, öffnete sie und verkündete: „Euer Gnaden, Lady Myers und Miss Langford!“
Die Damen traten ein – und Sophie blieb abrupt stehen. Am Fenster stand nicht der sechzigjährige, Ehrfurcht gebietende alte Herr, als den sie sich den Duke vorgestellt hatte, nein, es war der attraktive Gentleman, der ihnen in Dover den Zutritt zum Gasthof verwehrt hatte. Diesmal trug er keinen blauen, sondern einen dunkelgrünen Gehrock. Die cremefarbenen Pantalons betonten seine kräftigen Oberschenkel und die schmalen Hüften. Die blonden Locken waren zu einer Frisur gebürstet, die den
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