Historical Saison Band 20
erreichten, wurden sie von aufgeregtem Stimmengewirr begrüßt. Eine Woge von Menschen strömte aus dem Ballsaal heraus. Auf der Treppe und im Gang hatte sich bereits eine große Menge versammelt, offensichtlich, um sich zu verabschieden.
„Der Ball kann doch noch nicht vorüber sein“, rief Claudia erstaunt.
Anthony hielt einen Dragonerhauptmann auf. „Was geht hier vor?“
„Haben Sie es denn nicht gehört? Napoleon hat die Grenze überschritten. Jeder Offizier soll sich bis drei Uhr heute Nacht zum Dienst melden.“ Er verbeugte sich höflich. „Wenn Sie mich entschuldigen wollen. Ich muss gehen.“
Sie sahen ihm sprachlos nach.
„Es ist also so weit“, flüsterte Claudia schließlich.
Während die Offiziere sich verabschiedeten, war die Atmosphäre plötzlich geladen mit Aufregung und Anspannung. Man schüttelte einander die Hände und lächelte. Auch die Mütter und Frauen und Geliebten versuchten zu lächeln, doch allmählich begannen die Fassaden zu bröckeln, und die darunterliegende Furcht wurde deutlich. Claudia blickte den Männern nach und wusste, dass sie einige von ihnen zum letzten Mal sah. Verständnisvoll begegnete Anthony ihrem Blick.
„Komm, meine Süße. Lass uns nach Hause fahren.“
Claudia ging nach oben, um ihren Umhang zu holen, ohne das Chaos um sich herum richtig wahrzunehmen. Sie wusste, heute Nacht würde sie keinen Schlaf finden – so wie die meisten Menschen in der Stadt. Die bevorstehende Schlacht würde ein Ausmaß erreichen, das sie sich kaum vorstellen konnte. Doch den Alliierten stand, dem Himmel sei Dank, der Duke of Wellington zur Verfügung. Er würde nicht zulassen, dass die Franzosen den Sieg errangen. Allerdings hieß es, dass Napoleon über hunderttausend Männer in den Kampf schicken konnte, und die Koalition brachte nicht ganz so viele auf. Die Verluste würden horrend sein. Wie viele dieser lebhaften jungen Männer würden fallen? Hastig schob sie den Gedanken beiseite.
Als sie zu Anthony zurückkam, hatten sich Robert und Sabrina zu ihm gesellt. Sabrina war blass, aber beherrscht. Claudia fühlte von ganzem Herzen mit ihr.
„Sabrina, möchten Sie heute Nacht nicht bei uns bleiben? Sie sind uns mehr als willkommen.“
„Nein, vielen Dank. Nicht heute. Morgen komme ich gerne.“
„Wie Sie möchten.“
Falconbridge lächelte und streckte Anthony die Hand hin, die dieser herzlich schüttelte.
„Viel Glück, Robert.“
Claudia umarmte ihre Freundin und flüsterte: „Sie wissen, wo Sie mich finden, falls Sie Ihre Meinung ändern.“
Voller Dankbarkeit drückte Sabrina sie kurz an sich, und dann wandte Robert sich an Claudia. „Passen Sie auf Sabrina und meinen Sohn auf, solange ich fort bin.“
Sie zwang sich zu einem tapferen Lächeln. „Seien Sie unbesorgt.“
Der Colonel legte seiner Frau die Hand auf den Arm. „Komm, meine Liebe.“
Bedrückt fragte Claudia sich, ob sie die beiden jemals wieder zusammen sehen würde. Sie und Anthony erreichten die sonst so ruhige Straße, in der es heute nur so wimmelte vor Kutschen und wo die Luft widerhallte von Hufgeklapper, Radgepolter und aufgeregtem Stimmengewirr. Es dauerte eine ganze Weile, bis ihr Wagen sich einen Weg durch das Getümmel gebahnt hatte. Weder sie noch Anthony sprachen ein Wort, jeder in seine eigenen Gedanken vertieft.
Als sie das Haus erreichten, hörten sie die fernen Geräusche von Signalhörnern und Trommeln, die das Sammeln der Regimenter verkündeten. Anthony und Claudia standen auf dem Balkon und sahen die Truppen vorbeimarschieren – eine scheinbar nicht enden wollende Schlange von Männern auf dem Weg zum Stadttor Richtung Namur. Über den Dächern wich die Dunkelheit bereits dem grauen Licht der Dämmerung.
Sie folgten den Männern mit Blicken, bis auch das letzte Regiment vorbeigezogen war. Erst kurz vor acht Uhr lag die Straße verlassen da, nur noch von der Morgensonne beschienen.
„Es wird eine ganze Weile noch keine Neuigkeiten geben, meine Liebe. Lass uns versuchen, einige Stunden zu schlafen“, sagte Anthony.
Als Claudia erwachte, war es Mittag, und Lucy teilte ihr mit, dass der Earl bereits ausgegangen war. Er kehrte eine Stunde später zurück und gesellte sich zu Claudia in den Salon.
„Was gibt es Neues?“, fragte sie.
„Marschall Neys Truppen nähern sich Quatre Bras.“
„Quatre Bras? Wird das nicht von niederländischen Truppen gehalten?“
„Ja, aber es gibt nicht genug von ihnen. Wenn sie die Kreuzung halten sollen, brauchen sie
Weitere Kostenlose Bücher