Historical Weihnachtsband 1991
Sinnen in sich aufnahm. Er war größer, als sie ihn in Erinnerung hatte, und noch viel hübscher. Das dunkle Haar trug er schlicht zurückgekämmt, ohne der herrschenden Mode zuliebe Pomade zu verwenden, und er trug immer noch keinen Bart. Die Augen waren dunkel, ihr Blick warm. Sein Gesichtsausdruck verriet, daß er von dieser Überraschung, wie Phoebe es genannt hatte, auch keine Ahnung gehabt hatte.
Angelica faßte sich zuerst und sagte leise: „Matthew?" Weil sie die Blicke aller Anwesenden auf sich spürte, setzte sie ziemlich spröde hinzu: „Es freut mich . . ., Sie zu sehen." Selbst in ihren Ohren klang es dumm.
„Wie geht es Ihnen, Mrs. Hamilton?" Bei dieser förmlichen Anrede schwand das Leuchten aus seinen Augen, um den Mund erschienen jene harten Linien, die Angelica nur allzu gut kannte.
Geoffrey Addams war aufgestanden und legte den Arm um die Schultern seiner Frau. „Warum denn gar so steif, Matthew? Wir legen hier keinen großen Wert auf Formalitäten."
Angelica spürte, daß ihre Eltern sie unverwandt anschauten. Damals hatten sie alles gegen Matthew Thornton einzuwenden gehabt. Hatten sie ihre Meinung geändert und sich mit den Addams verschworen? Unmöglich.
„Phoebe, könnte ich dich kurz sprechen, unter vier Augen?"
Die Angesprochene machte keine Anstalten, von ihrem Mann wegzutreten, und lächelte nur. „Natürlich, später."
Angelica fühlte, wie ihr Blut in Wallung geriet, und daran war nicht nur die Gegenwart Matthew Thorntons schuld. Ihre Verwandten wußten nur zu gut, wie sie und Matthew zueinander standen. Wie hatten es alle wagen können, so etwas zu tun? Angelica ging leidlich gefaßt auf einen Sessel zu und setzte sich. „Ich muß schon sagen, das ist wirklich eine Überraschung", sagte sie leise.
„Allerdings." Matthew hatte den Blick keine Sekunde von ihr gewandt und sah sie auch jetzt so an, wie er es vor fünf Jahren getan hatte.
„Werden Sie länger in London bleiben?" Im stillen flehte sie, er möge es verneinen.
Er hatte doch sicher nicht die Absicht, die Feiertage in London zu verbringen.
„Am Stephanstag reise ich wieder ab."
Angelica schluckte trocken. Er hatte allen Ernstes vor, über Weihnachten hierzubleiben. Ein geradezu entsetzlicher Argwohn erwachte in ihr. „Wohnen Sie in der Nähe? Bei Verwandten vielleicht?"
„Das ist ja die Überraschung", sagte Phoebe mit unverhohlener Begeisterung.
„Matthew ist unser Gast. Er verbringt die Festtage hier bei uns im Hause."
Angelica hörte wie von weitem, daß ihre Eltern ihre Freude zum Ausdruck brachten.
Sie selbst war keines weiteren Wortes fähig. Stumm schaute sie Matthew Thornton an, der sie eindringlich ansah.
Schließlich wandte er sich an Geoffrey Addams. „Vielleicht sollte ich doch nicht so lange bleiben. Immerhin ist Weihnachten, und ich möchte euer Familienfest nicht stören."
„Das kommt überhaupt nicht in Frage", widersprach Phoebe hastig. „Wir haben dich doch gerade deshalb eingeladen. Es ist nicht nur Weihnachten, wir feiern auch unseren fünften Hochzeitstag, und unsere Stella wird drei Jahre alt."
„Ich weiß, daß es auch sonst noch ein Erinnerungstag ist."
Diese ziemlich trotzige Bemerkung bot Phoebe Gelegenheit, sich den Anschein von Verwirrung zu geben. Ihr Mann schlug Matthew auf die Schulter. „Wir wollen den alten Streit begraben. Phoebe und ich fanden es an der Zeit, unseren besten Freund und unsere einzige Schwester wieder miteinander zu verwöhnen. Es war wirklich ziemlich scheußlich, daß ihr so hartnäckig nichts mehr voneinander wissen wolltet."
Es war auf einmal ganz still in dem Salon. Endlich fragte Angelica: „Ich nehme an, Sie leben immer noch in York?"
„Ja. Ja, ich lebe noch in York." Er wandte ihr von neuem den Blick zu und hielt dem ihren ruhig stand.
„Im vergangenen Frühling ist Matthews Vater gestorben", sagte jetzt Geoffrey. „Nun hat er sein Erbe angetreten. Deshalb haben Phoebe und ich ihm vorgeschlagen, doch ein Haus hier in London zu kaufen."
„Natürlich", bekräftigte Phoebe herzlich. „Es wäre wunderbar, ihn etwas öfter zu sehen. Und weil es sich dann nicht mehr wie bisher krampfhaft vermeiden läßt, euch beide auseinanderzuhalten, was wir immerhin fünf Jahre lang mühsam getan haben, dachten wir . . . Nun, Weihnachten ist doch eine großartige Zeit zu einer Versöhnung."
Angelica stockte der Atem. Matthew Thornton wollte nach London übersiedeln? „Ihr hättet wenigstens vorher mit mir darüber sprechen können", sagte
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