Historical Weihnachtsband 1991
Tage vor der Hochzeit entstand aus dem Nichts ein Streit, ein Wort gab das andere, viel Geschirr wurde zerschlagen, und die aufgestaute Spannung entlud sich von beiden Seiten in Argumenten, die nicht wiedergutzumachen waren. Es endete damit, daß Angelica ihm den Ring vor die Füße warf und die Verlobung löste.
Zutiefst in seinen aufrichtigen Gefühlen verletzt, kehrte Matthew in sein Elternhaus nach York zurück. Angelica flüchtete sich zu einer Cousine, wo ihr die Zeit bis zu Phoebes Vermählung etwas schneller vergehen mochte. Einen Monat später erfuhr Matthew von Geoffrey, daß Angelica Philip Hamilton geheiratet hatte. Matthew kannte Hamilton, mit dessen jüngerem Bruder Thornton er in Oxford studiert hatte.
Philip war etwa zehn Jahre älter als Matthew, und die Bekanntschaft war äußerst oberflächlich gewesen. Nach der Hochzeit mit Angelica war Philip dem unglücklichen Bräutigam dann richtig verhaßt geworden. Und nun war Philip Hamilton tot.
Matthew streckte die langen Beine gegen den Kamin und überlegte. Wie mochte Philip denn gestorben sein? Eigentlich war er zu jung gewesen und zu gesund.
Vielleicht hatte ein Sturz vom Pferd oder ein Unfall mit dem offenen Wagen zu dem verfrühten Ende geführt? Ob Angelica wohl untröstlich gewesen war? Trauerte sie ihrem Mann vielleicht nach fünf Jahren immer noch nach?
Das kurze Gespräch am Nachmittag hatte gezeigt, daß sie Matthew immer noch bitter grollte, aber nichts über ihre Gefühle zu ihrem verstorbenen Gatten ausgesagt. Immerhin trug sie keine Trauer mehr. Von einer jungen Frau von fünfundzwanzig Jahren konnte allerdings auch kein Mensch erwarten, daß sie für den Rest ihres Lebens in Schwarz ging. Matthew Thornton wies jeden Gedanken an jene Zeit weit von sich, in der Angelica ihr Leben, ein Haus und ein Bett mit Philip Hamilton geteilt hatte.
Matthew rieb sich die schmerzenden Augen und seufzte. Er hätte nicht gerade vor Weihnachten hierherkommen dürfen. In diesen Tagen traf man sich in der Familie.
Es war vorauszusehen gewesen, daß er Angelica wieder begegnen würde. Und vielleicht, so
regte sich eine Stimme im Innersten, vielleicht war es eben diese Hoffnung gewesen, die ihn bewogen hatte, Geoffreys und Phoebes Einladung anzunehmen.
Er sah Angelica in Gedanken wieder in den Salon treten, jenes Lächeln auf den Lippen, das ihn immer noch bis in seine Träume hinein verfolgte, mit dem kastanienbraunen Haar, den Augen, in deren Tiefe dunkle Flammen brannten.
Mochte Phoebe, blond und blauäugig, im Sinne der herrschenden Mode als überaus hübsch gelten, so war Angelica eine ausgesprochene Schönheit. Selbst die strenge Knotenfrisur, die jeder anderen Frau abträglich gewesen wäre, schmeichelte dem Gesicht mit den regelmäßigen Zügen und den hohen Backenknochen.
Wie fassungslos sie ihn angestarrt hatte. Auch die wenigen Worte hatten keinen Zweifel daran gelassen, wie wenig erfreut sie war, ihn wiederzusehen. Es gab ihm einen schmerzhaften Stich. War es doch falsch gewesen, sich zum Bleiben bereitzufinden?
Er konnte nicht wissen, daß zur gleichen Zeit Angelica Hamilton auf der Fensterbank in ihrem Schlafzimmer saß und in die Dunkelheit hinausblickte. Leise fielen die winzigen Schneeflocken und glitzerten im matten Schein der Gaslaternen entlang der Straße. Angelica achtete nicht auf die Kälte, die durch die undichte Scheibe hereinströmte. Ihr war sterbenselend zumute, als wollte ihr das Herz brechen. In Matthew Thorntons Blick hatte etwas wie Haß geflimmert, als er sie angeschaut hatte, und sobald man angefangen hatte, Weihnachtslieder zu singen, hatte er Angelica keines Wortes mehr gewürdigt. Auch der Gruß zur guten Nacht hatte sehr kühl geklungen.
Sie würden einander wieder begegnen müssen, das ließe sich wohl kaum vermeiden. Angesichts der Tatsache, wie schnell er sie verachten konnte, mußte sie wohl froh sein, daß sie damals nicht geheiratet hatten. Das schloß freilich nicht aus, daß Angelicas Ehe auch keineswegs glücklich gewesen war.
Philip Hamilton war sehr bald nach der verhängnisvollen Auseinandersetzung mit Matthew aufgetaucht, ein älterer, selbstsicherer und nach außen hin vertraueneinflößender Mann. Damals hatte das alles einen großen Eindruck auf sie gemacht. Nach
einer leidenschaftlichen Werbung und einem verwirrend bewegten Brautstand hatten sie nach kurzer Zeit geheiratet, und Philip hatte seine junge Frau in das Haus an der Lady Slipper Lane geführt. Dies war genau die Umgebung, an die
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