Historical Weihnachtsband 1993
Unterrichtes.
In diesem Jahr nun schien auch die Lehrerin nicht bei der Sache zu sein. Die Kleinen flüsterten hinter vorgehaltener Hand und fragten sich, was denn Miss Conners habe.
Sie blickte nämlich oft wie geistesabwesend aus dem Fenster und beobachtete einen Falken, der in langsamen Kreisen hoch oben dahinflog.
Wo mochte Matthew in dieser Stunde wohl sein? Laura verkrampfte die Hände im Stoff des Kleides und schaute in die schneebedeckte Landschaft hinaus. Was sollte werden, wenn er von neuem angeschossen würde, was, wenn die kaum verheilte Wunde sich wieder öffnete? Lieber Gott, betete Laura im stillen, ich flehe dich an, behüte ihn! Plötzlich fiel ihr die ungewöhnliche Stille im Klassenzimmer auf, und sie wandte den Kopf. Die Kinder sahen sie völlig verdutzt an.
„Lies weiter, Joseph!"
„Ich habe schon zu Ende gelesen, Madam."
"Ach ja, natürlich." Laura ging quer durch den Raum und setzte sich an den Lehrertisch. Als sie den Blick hob, waren die Augen der Schüler immer noch auf sie gerichtet. „Ich habe eine besondere Überraschung für euch, sozusagen ein Geschenk." Laura selbst war von den eigenen Worten verblüfft. Woher waren sie plötzlich gekommen? Sie pflegte sonst nie spontanen Eingebungen zu folgen.
„Heute hören wir früher als sonst mit dem Unterricht auf. Ich hoffe, ihr alle werdet ein sehr frohes Weihnachtsfest verbringen."
Innerhalb weniger Minuten wurde es in dem kleinen Schulhaus lebendig. Lachende Kinderstimmen schwirrten durcheinander, während die Schüler schwatzten, die schweren Stiefel anzogen, in die Mäntel schlüpften und ins Freie drängten. Alle wünschten sie ihrer Lehrerin noch ein gesegnetes Fest, bevor sie den Heimweg antraten, der für manche von ihnen ziemlich lang und beschwerlich war.
Endlich herrschte wieder Stille im Haus, die Laura aber sonderbar geisterhaft schien.
Sie griff nach dem Staubtuch, wischte über Bänke und Regale, um dann noch den Boden auszufegen. Als alles getan war, erstickte sie auch sorgsam das Feuer im Kamin. Mit eiskalten Händen spannte sie schließlich das Pferd wieder vor den Wagen, stieg auf und ergriff die Zügel.
Erst als das Gefährt sich durch den tiefen Schnee vorwärtsbewegte, fiel es Laura auf, daß sie alles getan hatte, um die Heimfahrt möglichst lange hinauszuzögern.
Heimfahrt? Gab es überhaupt ein Heim? Das Haus war leer, kein Rauch würde sich heute über dem Schornstein kräuseln, keine Mahlzeit auf dem Herde schmoren.
Und niemand wartete auf Laura. Die ersten Tränen kamen überraschend, der nächste Schwall aber machte Laura zornig. Sie tadelte sich im stillen heftig wegen dieser ihrer Schwäche. Als ob sie, Laura, nicht schon so viele Jahre allein gewesen wäre! Daran hatte doch Matthews kurzer Besuch nichts geändert. Mit dem Handrücken wischte sie sich unwillig die Tränen ab und richtete sich gerade auf. Ihr Leben würde weitergehen wie bisher, und sie wollte sich nicht unterkriegen lassen, sondern sich behaupten, um zu überleben.
Matthew saß im Sattel des Rotschimmels und untersuchte die Spuren im Schnee.
Schon vor Stunden hatte er die Fährte aufgenommen, und schließlich gab es nicht mehr den allergeringsten Zweifei. Die Verbrecher waren etliche Male im Kreis geritten, hatten den Fluß überquert, um irgendwo Anzeichen für seine, Matthews, Nähe zu finden, und waren nun eindeutig unterwegs nach Bitter Creek.
Laura. Matthew verbiß sich den Fluch, der sich ihm auf die Lippen drängen wollte, riß das Pferd herum und versuchte, es zum Galopp zu zwingen. Die Hügel waren steil, die Täler verschneit und vereist. All das hinderte den Hengst, richtig auszugreifen. Während der sich mühsam einen Weg durch hohe Schneewehen, die ihm bis zum Bauch reichten, bahnte, kehrten die Gedanken des Reiters immer wieder zu den grauenhaften Szenen voll Blut und Leichen zurück, die er jedesmal hatte finden müssen, wenn diese Banditen mit roher Gewalt an einem Ort gehaust hatten. Matthew selber war es müde, im Namen des Gesetzes zu töten, zu töten und immer wieder zu töten. Aber er konnte sich nicht vorstellen, wie er dem ein Ende bereiten könnte, solange Kerle wie die, denen er jetzt wieder auf den Fersen war, anständige Menschen in ihrem friedlichen Leben bedrohten.
Laura hielt den brennden Holzspan an das Scheit, das auf dem Rost lag, und schaute zu, wie die Flamme erst zaghaft flackerte, dann aufloderte und die trockene Rinde entzündete. Laura blies sich in die kalten Hände, zog das große
Weitere Kostenlose Bücher