Historical Weihnachtsband 1993
ihrerseits ein Recht auf ihre Grundsätze.
Außerdem mußte sie sich den winzigen Rest ihres Stolzes, ihrer Selbstachtung bewahren und nicht bitten und betteln. So hieß es eben, sich den Anschein zu geben, daß diese gemeinsam verbrachten Tage nur eine Episode gewesen seien, wenn auch eine unvergeßliche, die ihr Leben verändert hatte.
Laura sagte sich immer wieder entschieden vor, daß sie Matthew nicht wirklich liebte. Sie konnte es sich einfach nicht leisten, einem Mann ihr Herz zu schenken, der mit der Waffe in der Hand durchs Leben ging. Von draußen ließ sich das Knarren der Räder vernehmen. Matthew erschien auf seinem Hengst und führte Lauras Pferd mit dem Wagen am Zügel. Sie legte das Umschlagtuch über die Schultern, nahm die Decke und das in ein Leinentuch
verpackte Bündel auf und ging hinaus in die eisige Luft. Beim Verlassen des Hauses vermied sie es tunlichst, Matthew anzusehen.
Er sprang aus dem Sattel und trat auf Laura zu, um ihr behilflich zu sein, ihren Platz auf dem Wagen einzunehmen.
„Ich habe dir etwas zu essen zurechtgemacht, Matthew, du wirst es auf deinem Weg brauchen können."
„Ich danke dir." Er verstaute das Paket in einer der Satteltaschen und streckte Laura die Hand hin.
„Mach's gut, Matthew, und bleib gesund!"
„Das wünsche ich dir auch, Laura." Als er ihre schmale Rechte in der seinen hielt, spürte er, wie ein Zittern durch ihren Körper lief. „Es tut mir leid, Laura. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr es mir leid tut."
„Laß doch." Sie wollte sich von ihm lösen, konnte aber gegen seine Kraft nichts ausrichten.
Er zog sie an sich und drückte die Lippen auf Lauras Schläfe. „Ich möchte, daß du weißt, daß ich dich niemals vergessen werde, Laura, und mir aus tiefstem Herzen wünsche, bei dir bleiben zu können. Aber ich habe eine Aufgabe zu erfüllen."
„Das verstehe ich." Laura hoffte inständig, daß man ihrer Stimme nicht anhören möge, wie ihr wirklich zumute war.
Kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, als Matthew Laura an sich drückte und ihren Mund mit dem seinen verschloß. „Ich liebe dich, Laura. Ich habe dich immer geliebt, und ich werde dich immer lieben."
Sie hielt ganz still und überließ sich seiner Liebeserklärung. Doch so beglückend diese auch war, es war eben nicht genug. Matthew hätte Laura sagen müssen, daß er dieses Leben mit der Waffe in der Hand im ständigen Kampf gegen Unrecht und Gewalt aufgeben wolle. Seine Lippen lagen warm und fest auf den ihren, vermittelten ihr etwas von seiner Kraft, seiner Entschlossenheit, täuschten Geborgenheit vor, und Laura klammerte sich innerlich daran. Liebe. Matthew liebte sie, Laura, und wartete geradezu verzweifelt darauf, daß auch er dies von ihr hören würde. Doch sie konnte es nicht über sich bringen, diese Worte auszusprechen. Der Vater hätte auf seine Tochter wegen dieser entschiedenen Haltung stolz sein können. Wehe der Frau, die ihr Herz an einen Mann verliert, der . . .
Der Kuß wurde leidenschaftlicher. Dann rissen sie sich beide unvermittelt voneinander los. Matthew besaß seinen Stolz, Laura den ihren. Und es hatte keinen Sinn, den schmerzhaften Abschied noch länger hinauszuzögern. So standen sie da und suchten sich die geliebten Züge des anderen ein für allemal einzuprägen.
Mit verlegen wirkenden, ungelenken Bewegungen half Matthew Laura beim Aufsteigen und fühlte ihren Blick auf sich gerichtet, als er selbst sich in den Sattel schwang. Matthew legte die Hand an den Hut, riß das Pferd herum und ließ es unvermittelt angaloppieren. Erst auf der nächsten Hügelkuppe hielt er an und schaute Laura nach, während ihr Wagen über den vom Schnee verwehten Pfad davonholperte, dem Städtchen entgegen. Als sie den Augen entschwunden war, warf Matthew noch einen letzten Seitenblick auf die kleine Ranch, dann ließ er den Hengst antraben.
Die Tage vor dem Weihnachtsfest bedeuteten immer eine Zeit höchster Aufregung für die Kinder von Bitter Creek. Der Weihnachtstag selbst unterbrach das langweilige Einerlei. Zwar mußten die häuslichen Arbeiten verrichtet, die Pflichten des Landlebens erfüllt werden, doch überall hörte man heimliches Geflüster und das Rascheln von Papier. Geschenke wurden liebevoll verpackt und unter den Betten oder in der Scheune, dem Stall versteckt. Obwohl sich sogar die Thompson-Brüder mustergültig verhielten, waren die Schulkinder unruhig, rutschten hin und her in den Bänken und erwarteten sehnlichst das Ende des
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