Historical Weihnachtsband Band 4
überfallen wurde.
Ihr Vater hatte gelacht, ihr die Locken zerzaust und sie altklug genannt. „Sie wird dem Unsinn bald entwachsen“, hatte er den erschrockenen Anwesenden versichert.
Was jedoch nicht geschehen war.
Allerdings erinnerte die hochgewachsene, sommersprossige rothaarige Gestalt, der sie jeden Morgen vor dem Spiegel begegnete, sie an alles andere als eine Hexe.
Selbst ihre verschiedenfarbigen Augen waren eher seltsam als beängstigend. Nicht einmal ihre Katze war besonders unheimlich. Sie wog fast zwanzig Pfund, watschelte wie eine Ente und machte dabei einen solchen Lärm, dass kein Vogel und keine Maus etwas vor ihr zu befürchten hatten.
Fiona trat vom Fenster zurück und spürte wieder die schwere Last ihrer Probleme, die sie während der Leseabende immer ein wenig verdrängen konnte. Ihre Hauptsorge war der Ehrenwerte Tobias Templeton – ein vornehmer Gelehrter und Sammler von Antiquitäten und in den vergangenen fünf Jahren der größte Rivale ihres Vaters auf der Suche nach seltenen Büchern. Fiona war schon bald nach ihres Vaters Tod rücksichtslos von Mr Templeton belästigt worden. Wenn sie seinen Worten trauen durfte, hatte er die Buchhandlung mitsamt Inhalt von ihrem Vater erstanden, und das gerade einen Monat vor dessen Tod. Und nun gedachte Mr Templeton sein Eigentum am ersten Tag des neuen Jahres in Besitz zu nehmen!
Dieser Schlag hatte Fiona wie der Tod eines weiteren geliebten Menschen getroffen.
Sollte Mr Templetons Behauptung der Wahrheit entsprechen, und der Brief seines Anwalts schien das zu unterstützen, würde sie in nur einer Woche ihr Heim räumen müssen! Als Ausgleich würde sie einen Scheck über fünftausend Pfund erhalten –
immerhin ein kleines Vermögen. Doch die Buchhandlung war das einzige Zuhause, das sie je gekannt hatte. Sie war nach dem Unfall ihre einzige Zuflucht gewesen und der Ort vieler geliebter Erinnerungen. Obwohl sie den neuen Besitzer noch nicht zu Gesicht bekommen hatte, hasste sie Tobias Templeton bereits jetzt aus tiefster Seele.
Mr Templeton schien besonders an einem seltenen, wenig bekannten Manuskript von Aristoteles gelegen zu sein. Vor fünf Jahren hatte ihr Vater es ihm bei einer Auktion sozusagen vor der Nase weggeschnappt. Was gäbe Fiona nicht darum, hätte sie damals dabei sein und Templetons enttäuschte Miene sehen können! Auf dem Weg zu dieser Auktion war es ja auch gewesen, dass sie auf dem Bahnsteig ausrutschte und gezwungen gewesen war, zu Hause zu bleiben.
Und seitdem hatte sich ihr Vater durch keinerlei Druck seitens Mr Templetons dazu bringen lassen, seinen Schatz zu verkaufen. Seine angeschlagene Gesundheit musste ihn schließlich veranlasst haben, seine Meinung zu ändern. „Ich bin entschlossen, mein Mädchen versorgt zu wissen“, hatte er oft in seinen letzten Monaten gesagt.
Erst als Mr Templetons Brief eintraf, hatte Fiona erkannt, wie ernst es ihm damit gewesen war. Der Gedanke, dass ihr geliebter Vater mit der ihm verbliebenen Kraft darum gekämpft hatte, ihr eine sichere Zukunft zu garantieren, schmerzte sie zu sehr. Bis jetzt war sie nicht bereit gewesen, Mr Templetons erstaunlich hohen Stapel von Briefen und Telegrammen auch nur zu beachten. Wenn er die Buchhandlung und das verflixte Manuskript denn so sehr haben wollte, dann sollte er gefälligst persönlich nach London kommen und beides fordern!
Sie drehte das Schild an der Tür auf „Geschlossen“ und stieß Grey leicht in die Seite.
„Komm, lass uns zu Bett gehen. Mit ein wenig Glück werde ich Heiligabend, Weihnachten und Neujahr einfach durchschlafen.“
Damit würde ich nicht rechnen , meine Liebe .
Fiona erstarrte mitten im Gehen. Sie hatte deutlich eine kichernde weibliche Stimme gehört, was sowohl albern als auch unmöglich war. Bis auf Grey und sie hielt sich niemand sonst in der Buchhandlung auf. Und dennoch hätte sie schwören können ...
Um sicherzugehen, durchsuchte sie alle Räume und prüfte den Türriegel ein zweites Mal. Auf dem Weg die Treppe hinauf ertappte sie sich dabei, wie sie über die Schulter blickte, aber nur Grey folgte ihr. In ihrem Zimmer machte Fiona die Lampe an, zog die schweren Vorhänge zurück und kniete sich hin, um unter das Bett zu schauen. Kein Schreckgespenst lauerte dort auf sie, nicht einmal ein eingebildetes.
Ein wenig verlegen richtete sie sich wieder auf und hinkte zum Schrank, während sie mit von der Kälte ein wenig ungeschickten Fingern ihr Kleid aufknöpfte. Sie empfand es als große
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