Historical Weihnachtsband Band 4
philosophorum , dem Stein der Weisen. Tobias war überzeugt davon, dass es sich dabei keineswegs um eine Legende handelte. Anders als so vielen, die in der Vergangenheit die Auflösung des Geheimnisses gejagt hatten, lag ihm weniger daran, gewöhnliche Metalle in Gold zu verwandeln oder das ewige Leben zu erlangen. Tatsächlich waren die dreiunddreißig Jahre seines bisherigen Erdendaseins eher eine Strapaze für ihn gewesen. Im Lauf seiner ausgiebigen Lektüren und Forschungen hatte Tobias eine Theorie entwickelt, nach der er die klassischen Eigenschaften der Hitze, Kälte, Trockenheit und Feuchtigkeit auf eine Weise anwenden konnte, die die Unausgeglichenheit in dem offensichtlich unausgewogenen System seines Körpers korrigieren, wenn nicht sogar umkehren würde. Bevor er allerdings mit seinen Studien fortfahren konnte, musste er die Beschaffenheit des Steins der Weisen erfahren, um ihn in seinem Labor zu reproduzieren.
Er hatte den einzigen noch existierenden Band mit totaler Inbrunst gejagt. Das Werk hatte sich auf dem Gut eines Gentleman befunden, nur wenige Meilen von Oxford und seinem eigenem Gut entfernt. Die Bibliothek sollte verkauft werden. Als er jedoch angekommen war, hatte ein Buchhändler schottischer Herkunft namens MacPherson seinen Schatz bereits erstanden. Trotz seiner wiederholten Versuche, es zu seinem dreifachen Preis zu erlangen, hatte MacPherson darauf bestanden, das Buch zu behalten. Gleich darauf war er nach London abgereist, angeblich um seiner kranken Tochter beizustehen. Inzwischen waren fünf Jahre vergangen. Tobias hatte die Zeit genutzt und eine Korrespondenz mit dem Mann aufgenommen. Dabei hatte er sich vergewissern können, dass der Aristoteles sich noch immer wohl verwahrt in der privaten Sammlung des Buchhändlers befand. Vor einem Monat sollte seine Geduld endlich belohnt werden. MacPherson teilte ihm in einem Brief mit, dass er aufgrund seiner schwachen Gesundheit bereit sei, ein ehrliches Angebot von ihm in Erwägung zu ziehen.
Wenn er den Aristoteles noch immer haben wolle, solle er auch die Buchhandlung kaufen. Tobias hatte sich mit den Bedingungen einverstanden erklärt, ohne zu feilschen oder es zu bedauern. Nicht, weil er gedachte, Bücher zu verkaufen, denn das war gewiss nicht der Fall, sondern um sich endlich sein Buch zu sichern.
Doch bevor er seinen Besitz erhalten oder ihn überhaupt in Augenschein nehmen konnte, starb der Buchhändler. In dem seitdem vergangenen Monat hatte Tobias keine Mühe gescheut, mit MacPhersons Tochter, einer Miss Fiona MacPherson, in Kontakt zu kommen. Bis jetzt allerdings ohne Erfolg.
Die Vorstellung, ein weiteres Jahr zu beginnen, ohne dass er einer Heilung näher gekommen wäre, fand er unerträglich. Weihnachten hin, Weihnachten her, alles in ihm drängte ihn dazu, keinen Tag länger zu warten. Die Zeit war reif! Angetrieben durch diese innere Überzeugung, ritt Tobias weiter und hielt nicht einmal an, um seine nassen Sachen vor einem warmen Feuer zu trocknen. Trotz des schlechten Wetters erreichte er Covent Garden in rekordverdächtiger Zeit.
In der sonst so lebendigen Gegend war es heute unheimlich still. Der Platz vor der St.
Paul’s Cathedral lag bis auf einige Bettler, die unter den Kolonnaden der Kirche Zuflucht gesucht hatten, verlassen da. Bei dem heftigen Schneefall nicht überraschend. MacPhersons Buchhandlung befand sich in einer Nebenstraße. Tobias erinnerte sich noch sehr gut an deren Lage, war aber zu gewissenhaft, um sich nur auf sein Gedächtnis zu verlassen. Deshalb zog er den Verkaufsvertrag aus der Manteltasche und las die Adresse. Sein Herz pochte schneller. Er war näher, als er gedacht hatte. Nach fünf Jahren qualvollen Wartens trennten ihn nur wenige Minuten von seiner Beute.
Dass Weihnachten war, kümmerte ihn wenig. Er wollte endlich sein Buch haben!
2. KAPITEL
„Pst, wach auf, Fiona, meine Liebe!“
Fiona fuhr zusammen. „Was ... wer ...“ Sie öffnete ein Auge und blickte in ein schimmerndes türkisfarbenes Licht, das durch ihre geöffneten Bettvorhänge drang.
Dabei war sie sicher, die Vorhänge zugezogen zu haben.
„Ich bin es. Fern.“
Benommen setzte Fiona sich auf und beobachtete erstaunt, wie das glitzernde türkisfarbene Licht allmählich die Form einer sehr hübschen, wenn auch erstaunlicherweise grünblauen Frau annahm. Zumindest vermutete Fiona, dass ihr Besuch eine Frau war. Bis jetzt war im Grunde nur der von einem Heiligenschein umgebene Kopf der seltsamen Gestalt richtig zu
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