Historical Weihnachtsband Band 4
breitete die Arme aus, um auf ihr prächtiges himmlisches Gewand zu weisen, dessen eine Hälfte in verschiedenen Grüntönen schimmerte, die andere in Himmelblau. „Fionas Augen sind das Tor zu ihrer abenteuerlichen, freiheitsliebenden Seele und das Merkmal, an dem ihre wahre Liebe sie erkennen wird.“
Fern hoffte nur, Fiona würde so weit mitspielen und auch ihrerseits ihre große Liebe erkennen. Selbst ein Engel in den Diensten der himmlischen Mächte konnte nicht mehr als sein Bestes tun. Seine Willensfreiheit war und blieb jedoch das Geburtsrecht eines jeden Menschen. Und hier kam Ferns Rolle als Engel der zukünftigen Weihnacht ins Spiel. Ihren Schützling einen Blick in die grimmige Zukunft tun zu lassen, sollte alles so weiterlaufen wie bisher, mochte ein wenig plump erscheinen, ließ sich aber unter diesen Umständen nicht vermeiden. Fern durfte sich keine Zaghaftigkeit erlauben. Etwas musste geschehen, das Fiona aus ihrem Kummer aufrüttelte und sie zwang, ihr Leben in die Hand zu nehmen. Zwar ahnte sie es noch nicht, doch ihre wahre Liebe würde noch an diesem Abend die Buchhandlung aufsuchen. Fern durfte keinen einzigen Moment ungenutzt lassen.
Sie wandte sich an Rose und Periwinkle. „Unsere Schützlinge haben sich für die Weihnachtstage getrennt. Höchste Zeit, dass wir die Ärmel hochkrempeln und an die Arbeit gehen.“
„Vergessen wir da nicht etwas?“, fragte Periwinkle mit bebender Stimme.
„Wir sind Engel, selbst wenn wir uns noch unsere Flügel verdienen müssen“, fügte Rose hinzu.
Etwas verlegen nickte Fern. In ihrem Eifer hatte sie ganz das nötige Protokoll vergessen. „Selbstverständlich. Ich habe euch nur auf die Probe stellen wollen.“
Ohne ein weiteres Wort formten sie einen Kreis, legten die Fingerspitzen aneinander und gingen in sich, um gemeinsam den vertrauten Singsang anzustimmen.
„Mit Hilfe des Himmels – möge diese Weihnacht für unsere drei Schützlinge ein Wunder bringen, sodass sie sich noch viele schöne Jahre voller Dankbarkeit, Freude und Liebe an dieses Fest erinnern.“
1. KAPITEL
Fiona räumte den Tisch ab. Während sie die Kuchenkrümel in den Abfallkorb warf, tat sie ihr Bestes, sich nicht dem Gefühl der Einsamkeit hinzugeben. Jetzt, da Addie und Claire gegangen waren, kam ihr die Buchhandlung bedrückend leer vor. Das Ticken der Kuckucksuhr und das leise Schnarchen ihrer Katze, die am Erkerfenster döste, waren die einzigen Geräusche im ansonsten stillen Raum.
Sie seufzte schwer, stellte den Stapel Teller ab und ging zum Fenster hinüber. Ihre Katze Grey Ghost rührte sich nicht, als Fiona die beschlagene Scheibe sauber rieb und hinausblickte. Die Straßenlampe beleuchtete den heftig fallenden Schnee. Keine einzige Fußspur war auf dem Gehweg zu sehen. In Covent Garden, wo sich das Royal Opera House, unzählige Varietétheater, Wirtshäuser, Türkische Bäder und Freudenhäuser befanden, wimmelte es für gewöhnlich von Menschen – sowohl der zwielichtigen Sorte als auch der kultivierteren. Aber an diesem Abend schienen die Blumenverkäuferinnen und Obsthändler, die Gastwirte und selbst die Dirnen ihre Geschäfte auf nach dem Fest verschoben zu haben. Fiona hätte es nicht für möglich gehalten, aber der übliche Lärm der Trinkfreudigen fehlte ihr. Mr Dickens’ Scrooge hatte ja so recht.
Weihnachten war ein einziger Humbug!
Und doch hatte es eine Zeit gegeben, da sie das Fest und ihren Geburtstag als die Schwelle zu einem ereignisreichen neuen Jahr und wundervoller Möglichkeiten gesehen hatte. Doch diese Zeit – lediglich fünf Jahre waren vergangen – schien so weit entfernt zu sein wie der Mond und ein ebensolches Märchen wie die Geschichte vom Weihnachtsmann. Was gäbe sie nicht darum, wieder daran glauben zu können!
Sie musste an den heutigen Leseabend denken und fragte sich, ob sie nicht etwas zu barsch gewesen war. Wie sie zugeben musste, hatte sie sich noch nie besonders in der Kunst der Diplomatie hervorgetan. Als geliebtes einziges Kind ihres verwitweten Vaters, eines großen, kräftigen Schotten, war sie dazu erzogen worden, ungezwungen ihre Meinung zu äußern und frei ihre Lektüre zu wählen.
„Ich möchte eine Hexe werden, wenn ich groß bin“, hatte sie verkündet, nachdem sie das Grimm’sche Märchen „Hänsel und Gretel“ gelesen hatte. Es waren nicht die kleinen Pfefferkuchendiebe gewesen, die ihr Mitleid erregt hatten, sondern die arme, misshandelte Hexe, die in ihrem eigenen Heim von den Kindern
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