Hitlers Berlin
Allgemeinen Arbeiter-Union bis zur Zentrumspartei, von der Freien Vereinigung sozialer Schüler bis zum Rat geistiger Arbeit. Offenbar keiner anderen Gruppierung begegnete Mayr allerdings mit so viel Sympathie wie der DAP. Daher hatte er auch nichts dagegen, dass sich sein Spitzel Hitler am 12. September nicht nur höchst emotional in die Diskussion einmischte, sondern auch zwei Tage später der DAP beitrat – übrigens als ungefähr 50. Mitglied mit der Nummer 555 in der damals alphabetisch ab 501 geführten Mitgliederliste; nicht, wie Hitler selbst schrieb, als siebtes Mitglied. Mayr störte sich auch nicht daran, dass der neue DAPGenosse sogleich die Funktion eines »Werbeobmanns« übernahm, der Publikum zu den Parteiveranstaltungen mobilisieren und die Anwesenden in Stimmung für den jeweiligen Gastredner bringen sollte. 10 Im Frühjahr 1920 hatte sich Hitler als begabter Rhetoriker in der inzwischen in Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) umbenannten Splittergruppe einen Namen gemacht, doch befolgte er selbstverständlich den Befehl seines Vorgesetzten und Förderers, nach Berlin zu fliegen. Als zweiten Emissär wählte Mayr den Schriftsteller Dietrich Eckart von der Thule, der in der Berliner Oberschicht bestens vernetzt war. Am 16. März 1920 bestiegen die beiden einen klapprigen Doppeldecker und starteten Richtung Hauptstadt. Doch der Pilot verflog sich und musste wegen Benzinmangels in Jüterbog landen, etwa 60 Kilometer südlich des Ziels. Dort wurden Hitler und Eckart von aufgebrachten Arbeitern umringt und von regierungstreuen Beamten skeptisch vernommen – immerhin waren sie mit einem der damals extrem raren Privatflugzeuge auf dem Weg ins Zentrum eines Putsches. Eckart gab sich als Münchner Kaufmann auf dringender Geschäftsreise aus, seinen Begleiter bezeichnete er als »Buchhalter«. Nach einigen Stunden durften die beiden weiterfliegen; als sie in Berlin ankamen, war das Scheitern des Putsches bereits offensichtlich. Jahre später erzählte Hitler gern und oft eine Anekdote, die sich an diesem Tag im Hotel Adlon am Pariser Platz zugetragen haben soll, wo der selbst ernannte Reichskanzler Kapp sein Hauptquartier eingerichtet hatte. Danach habe Eckart, als er auf der Treppe im Hotelfoyer den Pressechef der Putschisten gesehen habe, einen Mann jüdisch-ungarischer Abstammung, gesagt: »Komm, Adolf, hier haben wir nichts mehr zu suchen.« Obwohl sie zu spät kamen, lohnte sich der Flug nach Berlin: Wohl schon bei diesem Besuch stellte Eckart seinen jungen Freund einigen Größen der besseren völkisch-nationalistischen Kreise in der Hauptstadt vor, zum Beispiel Helene Bechstein, der Frau des Pianofabrikanten. Sie lebte in einem der »hochherrschaftlichen Villenkästen der inneren Stadt, wie sie sich die Berliner Haute-Bourgeoisie mit ebenso luxuriösen Interieurs in den Gründerjahren hatte erbauen und einrichten lassen», wie der zeitweilige Hitler-Vertraute Ernst Hanfstaengl so hochmütig wie neidisch notierte, genau: in der Johannisstraße 6 in Mitte. 11
Die Bekanntschaft zahlte sich bald aus – und zwar im Wortsinne. Die NSDAP war stets, 1919 ebenso wie 1932, notorisch klamm. Trotzdem kaufte Hitler im Dezember 1920 die praktisch bankrotte, zweimal in der Woche erscheinende Zeitung Völkischer Beobachter, vormals Münchner Beobachter. Das nötige Kapital brachte man durch äußerst gewagte Finanzierungsmethoden und durch Unterstützung aus trüben Quellen auf. Doch stand das Blatt mit einer Auflage von etwa 11000 Exemplaren überhaupt nur zum Verkauf, weil seine regelmäßige Leserschaft keine ausreichende wirtschaftliche Basis bot. Nach dem Erwerb durch die radikale
Parteiführer: Das erste offizielle Hitler-Porträt von Heinrich Hoffmann, 1921
Kleinpartei mit seinerzeit gerade 2 000 Mitgliedern praktisch ausschließlich in und um München sank die Auflage weiter, bis auf weniger als 8000 Exemplare im Juni 1921. Aus diesem Grunde war Adolf Hitler, damals offiziell Chefpropagandist der Partei, tatsächlich aber bereits ihr führendes Mitglied, ständig auf der Suche nach Spenden, um die Zeitung am Leben halten zu können. Da er zudem seit seinem Ausscheiden aus der Reichswehr am 31. März 1920 keiner bezahlten Tätigkeit mehr nachging, sondern nur Honorare für seine Reden bei völkisch-nationalen Versammlungen erhielt, brauchte er trotz seiner bescheidenen Bleibe – er wohnte seit 1. Mai 1920 zur Untermiete bei einer Frau Reichert in der Thierschstraße 41 in der Nähe
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