Hitlers Berlin
Einen besonders abstrusen Aufenthalt in Berlin beschrieb ein anderer zeitweiliger Gönner, der Münchner Kunsthandelserbe Ernst Hanfstaengl. Im April 1923 suchten Hanfstaengl und Hitler Emil Gansser in gutbürgerlichen Bezirk Steglitz auf. Gansser hatte eine Reihe von Gesprächen mit möglichen Unterstützern arrangiert, zu denen der Parteiführer auf ungewohnte Art chauffiert wurde: »Nachdem Gansser und Hitler eine Zeitlang unter vier Augen konferiert hatten, fuhr vor dem Hause eine Art Lieferwagen vor, und zu meinem Entsetzen hörte ich, was jetzt geschehen sollte«, erinnerte sich Hanfstaengl, ein breitschultriger Zwei-Meter-Mann, drei Jahrzehnte später: »Um jeder Gefahr einer Beobachtung zu entgehen, sollte ich mit Hitler im Inneren dieses Gefährts eine Rundfahrt zu den von Gansser genannten Adressen unternehmen. Derart verstaut, wurde ich also in den nächsten Stunden kreuz und quer durch Berlin transportiert, ohne zu ahnen, wo Hitler jeweils sein Sprüchlein wegen einer Parteibeihilfe vorbrachte. Gut nur, daß es offenbar nicht allzu viele Adressen waren, denn andernfalls wäre meine Anatomie vermutlich bei dieser Gelegenheit zeitlebens hoffnungslos verbogen worden.« Am folgenden Tag, für den keine Termine vereinbart waren, wurden das Zeughaus und das Kaiser-Friedrich-Museum auf der Museumsinsel besichtigt, bevor Hanfstaengl Hitler und den Sohn des Münchner NSDAP-Mitglieds Theodor Lauböck in den Vergnügungspark »Lunapark» am Halensee lotste. Dort wurde Hitler überraschend von einem Kirmes-Fotografen geknipst. Er machte eine fürchterliche Szene, erreichte aber schließlich die Herausgabe des Negativs; wenn es in die Hände einer Berliner Zeitung gelangt wäre, hätte die Situation für Hitler unangenehm werden können, war seine Partei doch nach dem Republikschutzgesetz in Preußen schon seit dem 15. November 1922 verboten. Ihn selbst hätte die Polizei, so sie seiner denn habhaft geworden wäre, in »Schutzhaft« nehmen können. Der unerfreuliche Berlin-Besuch, der laut Hanfstaengl »keine Papiermark« für die Partei einbrachte, endete mit dem unvermeidlichen Abendessen bei Bechsteins. 18
Marsch auf Berlin
Nichts schweißt so sehr zusammen wie ein gemeinsamer Feind. München als Süddeutschlands größte Stadt und Berlin als Preußens Metropole standen schon im 19. Jahrhundert in einer ständigen Konkurrenz; die Revolution von 1918/19, die in Berlin zu einer liberal-demokratischen Regierung führte, in München aber nach der blutigen Niederschlagung der Räterepublik zu einem vorwiegend reaktionären, bestenfalls monarchistischen Klima, verschärfte diesen Gegensatz noch. In München sammelten sich die entschiedensten Feinde der Republik; hier konnten in Preußen steckbrieflich gesuchte Rechtsterroristen nahezu unbehelligt leben.Auf die Ablehnung von »Berlin« – gemeint nicht nur als Großstadt, sondern zugleich als Symbol der Weimarer Verfassung – konnten sich in München alle völkischen, »alldeutschen« und sonstigen rechtskonservativen Gruppierungen einigen.Als im Sommer 1922 nach dem Mord an Außenminister Walther Rathenau die amtierende bayerische Regierung des Grafen Hugo von Lerchenfeld eine gemäßigte, »berlinfreundliche« Politik einschlug, wuchs in Bayern die Bereitschaft zu putschen. Am 16. August fand eine große Versammlung aller »patriotischen« Gruppen auf dem Münchner Königsplatz statt, auf der Hitler gleichberechtigt neben den Führern anderer, bedeutend größerer »völkischer Verbände« reden durfte. Gemäß dem Motto der Kundgebung »Für Deutschland – gegen Berlin« behauptete er: »Man lebt in Berlin in Sorge für den östlichen, jüdischen Bolschewismus, und in dieser Sorge bedeutet der Kampf Berlins gegen Bayerns nicht den Kampf gegen besondere Privatrechte, sondern eine Stimme sagt denen in Berlin, daß Bayern heute der deutscheste Staat des Deutschen Reiches ist. Die Treue der Bayern zum Deutschen Reiche bedarf keiner Beweise, sie wurde bewiesen, als es nicht Phrasen galt, sondern das Herzblut. Wir aber zweifeln an der Treue dieser Herren in Berlin!«
Einmal in Rage, ergriff er am gleichen Tage noch einmal das Wort, diesmal im Zirkus Krone vor Anhängern der NSDAP: »Nicht Reichstreue will Berlin, sondern Reichsverdrossenheit, um Bundesstaat gegen Bundesstaat, um Bevölkerungsschicht gegen Bevölkerungsschicht aufhetzen zu können (…) Hier wäre es die Aufgabe der bayerischen Berlinfahrer [der Regierung Graf Lerchenfeld] gewesen, alle Berliner
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