Hitlers Berlin
Geschäftstelle wurde schon bald wieder von der Kaiserallee nach Kreuzberg verlegt, in die Luckenwalder Straße 8 nahe dem Gleisdreieck.Anscheinend wegen Mietrückständen musste auch dieser Sitz nach kurzem wieder geräumt werden; nun zog die Berliner NSDAP in feuchte, heruntergekommene Parterreräume im Hof des Hauses Potsdamer Straße 109.Rasch bürgerte sich für diese Geschäftsstelle, die nach Meinung des Neuköllner NS-Funktionärs Reinhold Muchow »mehr zum Keller als zum Zimmer« neigte, der Spottname »Opiumhöhle« ein. 5
Goebbels’ Schläger: Verletzte SA-Männer auf der Pflegestation, 1928
Einstweilen blieb die NSDAP in der Hauptstadt eine Splittergruppe neben hundert anderen. Gerade einmal 137 Stimmen bekam sie bei der Kommunalwahl am 25. Oktober 1925, und zwar ausschließlich in Spandau, denn nur dort hatte die Partei eigene Kandidaten aufgestellt. Keiner von ihnen zog in die Bezirksverordnetenversammlung ein, die NSDAP landete sogar auf dem letzten Platz sämtlicher zur Wahl angetretenen Parteien. Die SPD, stärkste Kraft in der Hauptstadt, erhielt 604 696 Stimmen. Erst als sich im Frühjahr 1926 aus dem radikalsten Teil des Frontbanns Nord eine Berliner Abteilung der im übrigen Reich bereits an vielen Orten organisierten Sturmabteilung (kurz SA) bildete, kam die Ortsgruppe der NSDAP über den Status eines der seinerzeit zahlreichen völkischen Vereine etwas hinaus. Allerdings schlossen sich von den rund 2 000 Anhängern des Frontbanns nur etwa 450 der SA an; die meisten der übrigen wechselten zu Ludendorffs Tannenbergbund. Mutmaßlich waren unter den neuen SA-Männern die meisten jener Gewalttäter, die bereits seit 1924 auf Berlins Straßen unangenehm auffielen; eines ihrer Lieblingsziele war der Platz um die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche im feinen Bezirk Charlottenburg, wo Frontbann-Angehörige immer wieder »jüdisch aussehende« Passanten attackiert und Schlägereien mit der Polizei provoziert hatten. Solchen Aktivismus wollten die Mitglieder der SA unter dem Dach ihrer neuen Organisation noch verstärken. Wie ihr Anführer, der Diplomingenieur Kurt Daluege, waren viele dieser ersten SAMänner keineswegs arbeitslos, sondern hatten eine feste Stellung. Sie sehnten sich nach jener Form von ungezügelter Gewalt, die sie im Krieg und vor allem 1919/20 als Freikorpskämpfer kennen gelernt hatten. Ein wesentlicher Antrieb dürfte das Gemeinschaftserlebnis gewesen sein, ein weiterer der unbedingte Wille, »etwas zu tun«. Diese Botschaft kam an; schon zum Weimarer Reichsparteitag der NSDAP Anfang Juli 1926 konnte Daluege mit rund 600 Mann anreisen und hatte damit die größte SAGruppe vor Ort. Zur Belohnung erhielt die Spandauer SA als erste Gruppe in Norddeutschland eine von Hitler »geweihte« Standarte überreicht. Bald nach der SA war auch in Berlin eine Eliteorganisation gegründet worden, die Schutzstaffel (SS). Der erste SS-Chef Julius Schreck befahl, aus streng ausgesuchten SA-Leuten in jeder Ortsgruppe maximal zehn Männer in die SS zu befördern. Berlin gestand Schreck als einziger Ortsgruppe doppelt so viele SS-Angehörige zu – ein deutlicher Hinweis auf die Bedeutung, die der Reichshauptstadt in der kleinen Münchner Parteizentrale schon damals zuerkannt wurde. Hitler begründete den Entschluss zur Bildung der SS später so: »Ich sagte mir damals, daß ich eine Leibwache brauchte, die, wenn sie auch klein war, mir bedingungslos ergeben wäre und sogar gegen ihre eigenen Brüder marschieren würde. Lieber nur zwanzig Mann in einer Stadt, unter der Bedingung, daß ich mich absolut auf sie verlassen konnte, als eine unzuverlässige Masse.« 6 Vorerst aber hatte die Berliner SS keine nennenswerte Bedeutung. Entscheidend war der Konflikt zwischen der SA und den älteren, vor allem verbal aggressiven, aber an Handgreiflichkeiten vergleichsweise wenig interessierten Anführern der NSDAP-Ortsgruppe um Ernst Schlange und seine Unterstützer Otto und Gregor Strasser.
Im Sommer 1926 wurde die Konfrontation unausweichlich: Daluege war die Ortsgruppe schlicht zu »zahm«. In einem internen Bericht über die Zustände der Berliner Partei, einer einzigartigen Quelle zur Frühgeschichte der NSDAP, schrieb der Neuköllner Funktionär Reinhold Muchow verklausuliert: »Die innerparteiliche Lage ist in diesem Monat keine gute gewesen. Es haben sich in unserem Gau Zustände herausgebildet, die sich diesmal derart zuspitzen, daß mit einer vollständigen Zerrüttung der Berliner Organisation
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