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Hitlers Berlin

Hitlers Berlin

Titel: Hitlers Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Felix Kellerhoff
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Berlin« herausbrachte, »kannte« sogar den Wortlaut: »Wir schwören Treue dem Volk, der Ehre und dem Führer!« Thimms Worte hätten sich »in hundert Herzen und Hirne« gebohrt. »Beim ersten Morgengrauen waren die ›Eidgenossen‹ wieder in Berlin.«
    Es ist einigermaßen unwahrscheinlich, dass die »Fahnenweihe« genau so stattgefunden hat: Zehn Jahre später veröffentlichte Fotos eben jenes Stollens zeigen, dass sich dort nur wenige, höchstens einige Dutzend Menschen gleichzeitig aufhalten konnten. Viel mehr Anhänger hatte der Nationalsozialismus im Herbst 1923 in Berlin auch nicht. Schon eine gute Woche nach der »Feier« in Rüdersdorf wurde eine weitere Fahne in der Wohnung eines NS-Anhängers in der Tilsiter Straße 10 in Friedrichshain »geweiht« – ohne jede Störung durch die Polizei, die davon schlicht nichts erfuhr. Ohnehin hatten die preußischen Behörden in diesen Tagen Dringenderes zu tun, als die Wohnungen von Nazi-Aktivisten zu beobachten. Was tatsächlich in jener Septembernacht im Rüdersdorfer Kalkstollen stattfand, ist nicht mehr zu rekonstruieren. Irgendein Treffen Berliner Rechtsextremisten um Erich Thimm wird es dort wohl gegeben haben – immerhin »wiederholte« die Berliner NSDAP die »Weihe« am
    23. April 1933 in Anwesenheit damaliger Teilnehmer mit allem Pomp, was schwer nachvollziehbar gewesen wäre, wenn es in der skurrilen Kulisse des Bergwerksstollens zehn Jahre zuvor überhaupt keine Zusammenkunft gegeben hätte. 2
    Ihre Hoffnungen setzten diese ersten Nazis in den »Marsch auf Berlin«, von dem Hitler in Bayern in jenen Wochen ständig sprach. Doch der Münchner Putsch vom November 1923 scheiterte rasch; ein in der Hauptstadt bereitstehendes Kommando von Hitler-Anhängern erhielt den ersehnten Befehl zum Losschlagen nicht.Andernfalls wären die höchstens 40 aktiven Nationalsozialisten vermutlich von der preußischen Polizei aufgerieben worden. Das in der zweiten und dritten Novemberwoche ergehende Verbot der NSDAP in allen deutschen Ländern beendete den ersten, bescheidenen Versuch, in der Reichshauptstadt eine Ortsgruppe der Hitler-Bewegung zu etablieren. Während der Parteichef in Untersuchungshaft auf seinen Prozess wartete, vor dem Volksgericht in München auftrat und danach einige Monate seiner fünfjährigen »Ehrenhaft« in der Festung Landsberg absaß, schlossen sich die Sympathisanten seiner Partei in Berlin verschiedenen antisemitischen und völkischen Nachfolgeorganisationen an, die fast alle bald wieder zerbrachen. Im Frontbann Nord sammelten sich die gewaltbereiten Berliner Anhänger von Gerhard Rossbach sowie der ebenfalls aufgelösten berüchtigten Schwarzen Reichswehr und einiger Freikorpsverbände. Doch die wirtschaftliche und politische Beruhigung nach der Währungsumstellung von der provisorischen Renten- auf die neue Reichsmark im Sommer 1924 schwächte die Rechtsextremen, in der Hauptstadt ebenso wie im ganzen Reich.

    Der Frontbann Nord, ein nicht dezidiert nationalsozialistischer Verband, genügte den wenigen, dafür aber besonders radikalen Hitler-Anhängern in der Hauptstadt schon bald nicht mehr. So wurde am
    17. Februar 1925, unmittelbar nach der Aufhebung des reichsweiten Verbots und sogar zehn Tage vor der offiziellen Neugründung der Partei in München, »aus wilder Wurzel« (Kruppa) eine Berliner NSDAP-Ortsgruppe ins Leben gerufen. Treibende Kraft war der bereits 1922/23 als Nationalsozialist aktive Erich Thimm; die erste Geschäftsstelle der Berliner NSDAP lag in Kreuzberg in der Wiener Straße 45, nahe dem Görlitzer Bahnhof.
    Die neue Gruppe fiel mangels nennenswerter Anhängerschaft nicht weiter und daher vorerst auch nicht negativ auf. Die NSDAPGeschichtsschreibung spricht von rund 350 Mitgliedern, realistischer dürfte die Hälfte sein; Unterlagen darüber haben sich nicht erhalten. Vor allem aber beschränkte sich das »Parteileben« vorerst auf Treffen in den Wohnungen von Mitgliedern oder in Hinterzimmern von Kneipen, bei denen in Stammtischmanier auf die Republik und ihre Repräsentanten geschimpft wurde. Zwar wurden bald in jedem Stadtbezirk eigene Gruppen gegründet, die aber angesichts fehlenden Zulaufs meist schon nach wenigen Monaten wieder aufgelöst wurden. Irgendwelche organisierte Arbeit scheint es nicht gegeben zu haben. Jedenfalls nahm die wichtigste Zeitung der Reichshauptstadt, das liberale Ber liner Tageblatt, im ganzen Jahr 1925 von dem neuen NSDAP-Gau keinerlei Notiz. 3
    Der erste Besuch Hitlers in der Hauptstadt

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