Hitlers Berlin
Arbeiterpartei zu gründen, die laut NSDAP-Geschichtsschreibung mit dem »gleichen Programm« und der Hakenkreuzbinde als Symbol die »getarnte erste Ortsgruppe der Berliner NSDAP« war. Die Grundsatzansprache hielt der ehemalige Freikorpsführer Gerhard Rossbach, der allerdings der Großdeutschen Arbeiterpartei nicht selbst beitrat; »er hatte allen Grund, sich persönlich zurückzuhalten, denn erst wenige Tage zuvor war er von der Berliner Politischen Polizei bei der Rückkehr von einer seiner zahlreichen Reisen am Lehrter Bahnhof festgenommen und im Polizeipräsidium verhört worden«, urteilt der Rechtsextremismus-Experte Bernd Kruppa. Rossbach, der dem Schriftsteller Joseph Roth als Vorbild für seine Figur Theodor Lohse in der Novelle »Das Spinnennetz« diente, hatte im August 1922 Hitler in München getroffen und galt seither wahrscheinlich zu Recht als »Vertreter des Führers der Nationalsozialisten für Berlin«, wie ein Bericht des Reichskommissars für die Überwachung der öffentlichen Ordnung Ende 1922 festhielt. Lange ließ sich Severing von der Tarnorganisation nicht täuschen; schon am 10.Januar 1923 verbot er auch die Großdeutsche Arbeiterpartei, die über ihre Gründungsmitglieder hinaus kaum Unterstützer gefunden hatte. Nach dem erneuten Verbot gründete Rossbach die Berliner Ortsgruppe unter jeweils anderem Namen binnen kurzem mehrfach neu; »in richtiger Einschätzung des Sachverhalts verbot die Preußische Staatsregierung aber alle Rossbach-Organisationen als Ersatzorganisationen der verbotenen NSDAP« – davor schützten auch Selbstbezeichnungen wie Arbeiterbefreiungsbund oder Nationalsoziale Vereinigung nicht. Schließlich trat Rossbach entnervt der Deutschvölkischen Freiheitspartei bei, die ideologisch der NSDAP nahe stand, aber tatsächlich eine eigenständige Partei war. Allerdings verbot Severing am 23.März 1923 auch die DVFP; Rossbach wurde in Untersuchungshaft genommen und erst Mitte Oktober entlassen. Daraufhin zog er sich sofort ins für Rechtsextremisten sichere München zurück und bekannte sich bei einer Feier im Löwenbräukeller in Anwesenheit von Hitler offen zum Nationalsozialismus. 1
Aufgeben wollten die wenigen NSDAP-Anhänger in der Reichshauptstadt trotz der ständigen Verbote durch die preußische Polizei nicht; sie bereiteten für die Nacht vom 22. auf den 23. September 1923 die erste »Fahnenweihe« in Norddeutschland vor. Erhalten haben sich darüber mehrere verklärende Berichte nationalsozialistischer Autoren, die mit großer Skepsis zu lesen sind. In dem die »Kampfzeit« der Berliner Nationalsozialisten 1918 bis 1925 verherrlichenden Buch »Soldaten der Freiheit« beschrieb Erich F. Berendt 1935 die Situation vor dieser Nacht pathetisch: »Der Tag der Weihe der ersten Fahne Adolf Hitlers in Berlin, überhaupt in Norddeutschland, kam näher und näher. Die Wohnungen der Führer standen unter Aufsicht der Politischen Polizei, denn die NSDAP war in Preußen verboten. Gasthäuser und Verkehrslokale erfreuten sich der gleichen fürsorglichen Beobachtung Herrn Severings. Der freie Himmel nur oder dunkle Verliese konnten Weihestätte sein, sollte die heilige Stunde nicht gestört werden.« Als Ort der Handlung hatten die Teilnehmer einen aufgelassenen, teilweise eingestürzten Stollen eines Rüdersdorfers Kalkbergwerks etwa 25 Kilometer östlich des Berliner Stadtzentrums gewählt.
Laut Berendt ereignete sich dort Folgendes: »Zwei Männer trugen die auseinandergenommene Fahnenstange unter ihren Mänteln; ein dritter verbarg das Tuch unter seinem Hemd. In langer Reihe, Mann hinter Mann, marschierten zwei Gruppen durch Tasdorf (…). Von der anderen Seite her, den Berg herunter, kamen zwei andere Gruppen, Mann hinter Mann. Vorsichtig, schweigend. Schritt um Schritt suchend, damit Stein schlag den Vordermann nicht verletze, durchkletterten sie auf schmalen Pfaden das märkische Kalkgebirge.« Dann ging es in den alten Stollen hinein, »viele hundert Schritte lang«, bis zu einem großen Gewölbe, »gleich der Kuppel eines Domes«. Die »Sicherheit dieses Ortes hortet die Fahne!«, schrieb Berendt, und: »Blutrot ist das Tuch, hart steht das schwarze Kreuz im weißen Felde. ›Gott will den Kampf‹, ruft die Fahnenschrift den Männern zu.« Dann »weihten« zwei Nazi-Führer, Erich Thimm und Hermann Kretzschmann, die Fahne und ließen ihre Anhänger auf die Standarte einen Eid ablegen. Ernst Ziemann, der 1937 eine Broschüre mit dem Titel »Adolf Hitler gewinnt
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