Hitlers Berlin
obdachlos machte. Zwei Tage später bestellte er den Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Wilhelm Keitel, und Rüstungsminister Fritz Todt zu sich in die Reichskanzlei und gab ihnen den Auftrag, »in ganz großem Umfang« öffentliche Luftschutzräume in Deutschland zu errichten. Todt fasste Hitlers Ausführungen in einem internen Vermerk so zusammen: »Es dürfe bei uns nicht so kommen wie bei den Engländern, daß das Volk erst murrt; bei uns müsse die Führung handeln, bevor das Volk unzufrieden sei.« Albert Speer solle beauftragt werden, Bunker zu bauen. Begeistert allerdings war der Architekt von der neuen Aufgabe nicht, störte sie doch seine Pläne, Berlin umzugestalten. Wohl deshalb ging Speer in seinen Er innerungen nur mit einem Halbsatz auf diesen Auftrag ein.
Warnend vermerkte der SD am 26. September: »Die Meldungen sprechen auf der einen Seite von der zunehmenden Auffassung der Volksgenossen, daß ein zweiter Kriegswinter zu erwarten sei. Damit hängt eine gewisse enttäuschte Ungeduld über das Ausbleiben der entscheidenden Angriffe gegen England und ein Abflauen der durch die Führerrede [vom 4. September 1940] gesteigerten zuversichtlichen Stimmung zusammen. (…) Die Mehrheit der Volksgenossen hegt aber nach wie vor die Hoffnung, daß die Entscheidung nahe bevorsteht und der Krieg noch in diesem Jahre zu Ende gehen wird.« Das jedoch geschah nicht. Obwohl die Luftwaffe immer härter gegen England zuschlug, heulten in Berlin im Oktober und November 1940 die Luftschutzsirenen durchschnittlich jede zweite Nacht. Die offiziellen Berichte zählten in diesen beiden Monaten 113 Tote und 174 Verletzte durch britische Bomben auf die Reichshauptstadt; mehr als 5 000 Berliner verloren ihre Wohnungen. Schlechtes Wetter verhinderte die Fortsetzung der britischen Bomberoffensive, doch kurz vor Weihnachten, als sich die Berliner gerade wieder an ruhige Nächte zu gewöhnen begannen, folgten vier weitere Alarme und am
21. Dezember 1940 erneut ein besonders schwerer Angriff: Rund um
den Alexanderplatz kamen allein an diesem frühen Morgen 52 Menschen ums Leben. Als erstes historisches Gebäude wurde der Dom am Lustgarten getroffen; die Schäden betrugen mehrere Millionen Reichsmark. Auch die Museumsinsel trug Blessuren davon. Zu Weihnachten wurden aus Sorge vor weiteren Luftangriffen sogar Mitternachtsmessen auf die noch sichere Tageszeit verschoben. 10
Hitler zog sich im Spätherbst und Winter 1940 immer häufiger aus der Reichshauptstadt zurück; vor allem auf den Obersalzberg und zu Gesprächen mit Mussolini oder dem spanischen Machthaber General Francisco Franco. Manchen Verpflichtungen aber konnte er sich nicht entziehen, zum Beispiel dem Treffen mit dem sowjetischen Außenminister Wjatscheslaw Molotow vom 12. bis 14.November 1940. Die RAF hatte den deutschen Zeitungen entnommen, dass für den Abend des 13. November eine weitere Verhandlungsrunde in der Neuen Reichskanzlei angesetzt war. Churchill schrieb später in seinen Memoiren: »Wenn wir auch nicht eingeladen waren, so wollten wir doch nicht ganz ausgeschlossen sein.« Also heulten um 20.37 Uhr die Sirenen und ganz Berlin strebte den Luftschutzkellern zu – auch Ribbentrop, Molotow und ihre Delegationen. Es war kein besonders schwerer Angriff; lediglich ein Toter und sechs Verletzte wurden gemeldet. Aber der Alarm war hochgradig peinlich für Hitler-Deutschland, das doch behauptete, Großbritannien schon beinahe in die Knie gezwungen zu haben. Angeblich soll Molotow im Bunker der Neuen Reichskanzlei zu Ribbentrop gesagt haben: »Wenn die Briten schon geschlagen sind, warum sitzen wir dann im Luftschutzbunker, und wem gehören die Bomben, die da draußen fallen?« 11
Allerdings fiel die Bilanz des gegenseitig zugefügten Schreckens tatsächlich noch »zugunsten« Hitler-Deutschlands aus. Howard K. Smith blickte 1942 auf den Herbst 1940 zurück: »In Wirklichkeit erreichten die britischen Angriffe niemals die schrecklichen Ausmaße, die man aufgrund dieser Maßnahmen vermuten konnte. Ich nehme sogar an, daß nicht ein einziger britischer Angriff auf Berlin mit einem leichteren auf London zu vergleichen war, die zur Zeit des großen ›Blitz‹ geflogen worden waren.« Nach der britischen Angriffsserie von Ende August bis Ende November
1940 mit ihren tödlichen Nachzüglern kurz vor Weihnachten blieb es einige Monate ruhig in Berlin. Das schlechte Wetter, aber auch die hohen Verluste der RAF waren die Ursache. Die Luftwaffe dagegen flog in der
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