Hitlers Berlin
Nacht zum 30. Dezember ihren bislang schwersten Angriff auf die Londoner City. Noch linderte Zufriedenheit über solche »Vergeltung« die
Ungeliebter Gast: Stalins Außenminister Molotow (mit General Keitel und Joachim von Ribbentrop) am Anhalter Bahnhof, 12. November 1940
angespannte Stimmung in der Hauptstadt. Aus Schaden klug geworden, begannen die Berliner Behörden, Tarnmaßnahmen zu ergreifen. Charakteristische, auch bei Nacht leicht erkennbare Merkmale der Stadt wie die mehr als acht Kilometer lange Ost-West-Achse (heute Heerstraße, Kaiserdamm, Bismarckstraße, Straße des 17. Juni und Unter den Linden) oder der nierenförmige Lietzensee in Charlottenburg wurden mit Tarnnetzen »unsichtbar« gemacht. Rund um die Siegessäule auf dem Großen Stern wuchs ein mächtiges Balkengerüst, das diesen Orientierungspunkt für den Anflug auf das Regierungsviertel »entschärfen« sollte. »Das war alles sehr hübsch und schlau ausgedacht«, kommentierte Howard K. Smith, »bis die ersten Winterstürme einsetzten, die – wie die meisten Unglücksboten, die dieser Tage [im Winter 1941/42] die Deutschen heimsuchten – direkt aus den Steppen Russlands kamen. Der erste Windstoß riß klaffende Löcher in die Tarnnetze.« Gleichzeitig wurde das Bunkerprogramm mit aller Kraft vorangetrieben; bereits vor dieser Schutzmaßnahme hatte Hitler den Bau von drei gigantischen Flakturmpaaren angeordnet. Mit radargesteuerten Kanonen sollten sie die Innenstadt gegen Bomber verteidigen. Das erste Paar, neben die Tiergehege des Zoo logischen Gartens in Charlottenburg geklotzt, wuchs im Frühjahr 1941 buchstäblich täglich und wurde im April in Dienst gestellt.
Doch bereits am frühen Morgen des 13. März, am 23. März und vor allem am 10. April hatte es weitere schwere Luftangriffe der RAF gegeben. Dabei ging zum ersten Mal ein bedeutendes öffentliches Gebäude total verloren: Knobelsdorffs Opernhaus. Goebbels schrieb in sein Tagebuch: »In Berlin schwere Schäden Unter den Linden. Staatsoper ganz ausgebrannt. Nur die Umfassungen stehen. Ein tragischer Verlust. Auch Universität und Staatsbibliothek hart mitgenommen. (…) Wir geben das offen vor der Welt bekannt unter dem Motto: Angriff auf Berliner Kulturviertel.« Die Berliner hatten sich soweit wie möglich mit den Luftangriffen arrangiert. Der SD berichtete, »die Haltung der Bevölkerung in den betroffenen Gebieten« sei »ruhig und diszipliniert«. Ganz persönlich sah das häufig anders aus; die 23-jährige Exilrussin Marie »Missie« Wassiltschikow vermerkte in ihrem Tagebuch: »Fliegerangriff. Meine Angst vor ihnen wächst. Jetzt bumpert mein Herz schon, sobald die Sirenen losheulen.« Die Zerstörungen durch die britischen Bomben wurden übrigens in Albert Speers Büro äußert zynisch kommentiert: Sie seien eine »wertvolle Vorarbeit für Zwecke der Neugestaltung« 12 .
Die schweren Luftangriffe im Frühjahr 1941 fanden sämtlich statt, während Hitler außerhalb der Reichshauptstadt weilte – Zufall, aber schwer zu glauben. Am 10. und 23. März hielt er sich in den Alpen auf. Während des letzten größeren diplomatischen Ereignisses, dem Besuch des japanischen Außenministers Yosuke Matsuoka zwischen dem 26. März und dem 4. April 1941, als Hitler insgesamt 14 Tage in Berlin war, heulten die Sirenen kein einziges Mal. Am Abend des 9.April verließ Hitler Berlin auf dem Weg ins Führerhauptquartier, das während des Überfalles auf Jugoslawien und Griechenland in einem bei Wien postierten Zug seinen Sitz hatte; wenige Stunden nach seiner Abreise begann der schwere RAF-Angriff auf Mitte.
Auch während der nächsten Einsätze der britischen Bomber war Hitler nicht in der Hauptstadt: Am 10. Mai 1941 (18 Tote in Berlin) bekam er auf dem Obersalzberg die Nachricht vom England-Flug seines Stellvertreters Rudolf Heß, einer bis heute umstrittenen Aktion. Am 3. Juni (14 Tote) kehrte er gerade von einem Treffen mit Mussolini am Brenner nach Berchtesgaden zurück und am 21. Juli hatte er bereits sein neues, stationäres Führerhauptquartier Wolfsschanze in Ostpreußen bezogen.
Seit dem 22.Juni 1941, dem Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion, stand Großbritannien nicht mehr allein gegen Hitler-Deutschland; damit hatten sich die strategischen Gewichte in diesem Krieg grundlegend verschoben. Die deutsche Luftwaffe stellte nach ihrem größten Angriff am 10. Mai 1941 die Aktionen gegen London und andere britische Städte ein, weil sie nun andere Aufgaben übernehmen
Weitere Kostenlose Bücher