Hitlers Berlin
musste. Das britische Bomber Command tat wenig später das Gleiche; im August und September folgten noch einmal zwei kleine Angriffsserien auf Berlin, dann wurde diese Strategie vorerst beendet. Dazu Howard K. Smith: »Es war eine unglückliche Entscheidung des Oberkommandos der RAF, die regelmäßigen Angriffe auf Berlin einzustellen. Obwohl diese Angriffe selten ernstzunehmende Schäden anrichteten, erschütterten sie die Moral der Zivilbevölkerung nachhaltiger als jede andere Kriegshandlung. (…) Am Morgen nach einem Angriff waren die Menschen wegen der durchwachten Nacht und der Nervenanspannung in erbärmlicher Stimmung. Wenn ein Luftangriff am frühen Morgen einsetzte oder bis nach Sonnenaufgang andauerte, brach der Verkehr zusammen, und das ganze Berliner Geschäftsleben war bis um die Mittagszeit oder noch länger ein Chaos.«
Ein einzelner einfliegender Bomber konnte die Berliner unter massive nervliche Anspannung setzen. Allerdings räumte Smith auch ein: »Womöglich sprechen gute Gründe dagegen, eine solche Belästigungskampagne jede Nacht durchzuführen.« Der anfängliche Siegeszug der Wehrmacht in der Sowjetunion hob die öffentliche Stimmung auch in Berlin wieder, wie der SD am 3. Juli 1941 registrierte: »Die Haltung der Bevölkerung ist vorwiegend durch die erfolgreichen Kampfhandlungen im Osten bestimmt.« Ein letztes Mal verbrachten die Berliner einige Wochen mit Zuversicht und teilweise sogar mit Hoffnung auf einen Sieg in diesem Krieg. Doch schon im Herbst 1941 begann dieser Optimismus zu schwinden. Goebbels, der seine täglichen Eindrücke nun nicht mehr selbst niederschrieb, sondern seinem Sekretär diktierte, hielt am 5. September fest: »Die Stimmung selbst verhält sich nicht nur abwartend, sondern ist in gewissem Umfange wieder etwas versteift. Unsere Siegesnachrichten sind nicht mehr richtig durchschlagend. Das ist in der Hauptsache darauf zurückzuführen, dass wir in den ersten Wochen des Ostfeldzuges etwas zu sehr angegeben haben.« Zum Beginn des dritten Kriegsjahres registrierte auch der SD eine »gewisse Beklemmung« in der Bevölkerung. Doch schon knapp drei Wochen später ließ Goebbels aufzeichnen: »Aller Pessimismus, aller Defätismus, ja jeder Zweifel ist mit einem Male wie verschwunden. (…) Jeder fühlt sich wie neugeboren. Ein tiefes Aufatmen geht durch die ganze deutsche Öffentlichkeit.« Dieser erneute Umschwung sollte zwar nicht lange anhalten, aber gerade das verdeutlicht die Instabilität der Stimmung in Berlin, auf die Goebbels sich überwiegend bezog. 13
Irgendwann im zweiten Halbjahr 1941 fiel die Entscheidung des NS-Regimes, die vollständige Vernichtung aller europäischen Juden zu beginnen. Wann genau, ob in der Siegeszuversicht des Juli oder angesichts der erkennbar unausweichlichen Niederlage durch den Kriegsbeitritt der USA im Dezember, ist umstritten. Jedenfalls erreichten in diesen Monaten die Maßnahmen gegen deutsche und damit auch gegen die – nach NS-»Kriterien«, also entsprechend den »Nürnberger Gesetzen« – 73 842 Berliner Juden ein neues, zuvor unvorstellbares Ausmaß: Im August erließ das Reichssicherheitshauptamt ein Auswanderungsverbot für jüdische Männer, im Oktober folgte das totale Ende jeder Emigration. Speers Generalbauinspektion ordnete im Sommer die Räumung von weiteren 5000 »Judenwohnungen« an; wahrscheinlich zur selben Zeit markierten namentlich nicht bekannte Speer-Mitarbeiter auf Karten unter anderem der Bezirke Tiergarten, Wilmersdorf und Schöneberg säuberlich mit kräftigen Linien die »judenreinen Gebiete«. Ab dem 19.September mussten Juden »sichtbar auf der linken Brustseite der Kleidung« und »fest angenäht« einen gelben Stofffetzen mit zwei aufgedruckten, ineinander verschränkten Dreiecken tragen: den berüchtigten »Judenstern«, den die Betroffenen übrigens auch noch selbst bezahlen mussten – 10 Pfennig kostete jeder Stern. Seit der Aufklärung, als die spitzen »Judenhüte« und andere »Judenzeichen« abgeschafft worden waren, hatte es etwas Vergleichbares in Mitteleuropa nicht mehr gegeben. Die Kennzeichnung erleichterte weitere Verschärfungen der antijüdischen Maßnahmen: Träger des Sterns durften die Straßenbahnen nicht mehr benutzen, durften keine Zeitungen mehr kaufen.
Nach Howard K. Smiths Eindrücken war die Einführung des Judensterns zwar ein »kolossaler Mißerfolg«. Wenn »arische« Deutsche, so Smith, »an diesem ersten Tag auf der Straße einem Juden mit seinem leuchtend
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