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Hitlers Berlin

Hitlers Berlin

Titel: Hitlers Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Felix Kellerhoff
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gelben Stern begegneten, dann senkten sie – es war wirklich eine bemerkenswert einheitliche Reaktion – ihre Köpfe.« Diese Form von möglicherweise ehrlich gemeinter Anteilnahme half den stigmatisierten Menschen allerdings wenig.
    Anfang Oktober wurde der Berliner Jüdischen Gemeinde angekündigt, dass bald die ersten »Umsiedlungen« Richtung Osten beginnen würden. Die Synagoge in der Levetzowstraße (Tiergarten) wurde zum »Durchgangslager« umfunktioniert; die Gemeinde versuchte ihr Möglichstes, die Zumutungen für die Betroffenen zu lindern: »Eine vorzüglich organisierte fieberhafte Tätigkeit begann. Lebensmittel, Medikamente, sanitäre Hilfsmittel, Wäsche, Kleider, Schuhe aus der Kleiderkammer, alles wurde nach der Levetzowstraße geschafft, und in wenigen Stunden arbeiteten getrennte Küchen für Erwachsene und Kinder, arbeitete eine Abteilung des Jüdischen Krankenhauses mit Ärzten und Schwestern als Unfallstation und Erste Hilfe, es gab ein abgesondertes Kinderzimmer für Kleinkinder unter der Leitung von Kinderschwestern und Kindergärtnerinnen«, erinnerte sich Hildegard Henschel, die Ehefrau des letzten Gemeinde-Vorsitzenden. Aber all diese Bemühungen konnten das Schicksal, das die in der Synagoge eingeschlossenen Menschen erwartete, nicht erträglicher machen.
    Sobald die für einen Deportationszug vorgesehenen Juden zusammen waren, mussten sie Lastwagen besteigen und wurden zu einem Güterbahnhof gefahren, sowohl tagsüber wie nachts. Dort wurden sie in Sonderzüge gepfercht; teils in Wagen der dritten Klasse, teils in Viehwaggons. Der erste derartige Transport ging am 18. Oktober 1941 mit 1013 Menschen vom Bahnhof Grunewald ab; in den nächsten fünf Wochen folgten sechs Züge, die ersten ins Ghetto von Lodz, ab dem 14. November nach Minsk und Riga. Am 25. November wurden rund 5 000 Menschen aus München, Breslau, Frankfurt, Wien und Berlin direkt weiter geschickt in ein altes Fort bei Kaunas und erschossen. Es war der erste Massenmord an deutschen Juden, nachdem Einsatzgruppen der SS bereits seit Monaten russische Juden hinter der Ostfront systematisch töteten. Von den Deportationen 1941/42 ausgenommen blieben in Berlin vor allem die Juden, die in kriegswichtigen Betrieben Zwangsarbeit leisteten, und jene, die »arisch versippt« waren, also einen nichtjüdischen Ehepartner hatten. Insgesamt vermerken die erhaltenen Transportlisten bis Anfang Februar
    1945 aus der Reichshauptstadt 62 Züge »nach Osten«, also in Ghettos oder direkt in das Vernichtungslager Auschwitz, dazu 117 meist kleinere Deportationen ins »Altersghetto« Theresienstadt, das für viele der Verschleppten aber nur eine Zwischenstation auf dem Weg in den gewaltsamen Tod war. Bis Februar 1945 wurden aus Berlin 35 738 Juden »nach Osten« und weitere 14 797 nach Theresienstadt gebracht – in drei Jahren und knapp drei Monaten also mehr als 50 000. Die wenigsten von ihnen überlebten. 14

    Auch in Berlin profitierten ganz normale »kleine Leute« von der erzwungenen Auflösung jüdischer Haushalte. Der US-Korrespondent Smith erlebte solche Versteigerungen mit: »Wie Schakale um einen Kadaver kämpften da gestandene Arier um ein paar mickrige Dinge, die der russische Krieg rar gemacht hatte. Die Regierung erzielte für das alte Zeug noch gute Preise, denn die Auktionäre mussten mit Geheimpolizisten zusammenarbeiten, die in den hinteren Reihen saßen und die Preise hochtrieben. Diese Auktionen fanden jeweils in den verlassenen Wohnungen statt.« Die Wohnungen selbst wurden entweder für ausgebombte »Volksgenossen« requiriert oder an NS-Funktionäre vergeben.
    Als der Deportationsdruck im Jahr 1942 immer größer wurde, tauchten auch in Berlin verzweifelte Juden unter und versteckten sich – ein für sie und ihre »arischen« Helfer riskantes Wagnis. Sie mussten sich in Kellerverschlägen, Dachböden oder Gartenlauben verbergen, immer in der Gefahr, verraten oder bei Bombenangriffen getötet zu werden. Besonders schwierig war die Versorgung mit Lebensmitteln, denn Nahrungsmittel waren rationiert und wurden nur gegen Lebensmittelkarten ausgegeben. Illegale Juden hatten natürlich keine solchen Karten, waren also auf den teuren Schwarzmarkt oder auf Hilfe von »Ariern« angewiesen. Trotzdem überlebten von den in Berlin untergetauchten rund 5 000 Juden etwas mehr als 1400 das Dritte Reich. Unter den Helfern waren viele Hitler-Gegner. Es gab jedoch auch Profiteure, von denen manche die Untergetauchten selbst anzeigten, um

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