Hitlers Berlin
unter unzumutbaren Umständen festgehaltenen und in Todesangst schwebenden Männer freigelassen. Die Gestapo war jedoch nicht »eingeknickt«, sondern hatte nie vorgehabt, auch diese Menschen zu deportieren. Vielmehr waren sie verhaftet worden, weil aus ihrer Mitte »Ersatz« für einige der deportierten jüdischen Zwangsarbeiter gefunden werden sollte. Als Beispiel für erfolgreichen Widerstand gegen den Holocaust taugen die Ereignisse in der Rosenstraße daher nicht; es ist kein einziger Fall überliefert, in dem in Nazi-Deutschland durch eine öffentliche Konfrontation jüdische Menschen vor der Ermordung gerettet worden wären. Wenn überhaupt, gelang das nur durch geschicktes Ausnutzen der im NS-System allgegenwärtigen Korruption und des typischen Kompetenzchaos. 19 Mit einer veränderten Taktik hielt das britische Bomber Command nach den Großangriffen von Januar und März 1943 den Druck auf die Reichshauptstadt aufrecht: Immer wieder flogen kleine Verbände oder sogar einzelne Schnellbomber des neuen Typs Mosquito nach Berlin. Da diese Maschinen die gefürchteten »Wohnblockknacker« abwerfen konnten, 1,8 Tonnen wiegende Luftminen, waren sie eine stets tödliche Gefahr. Seine schweren Flugzeuge konzentrierte Arthur Harris im Sommer
1943 auf andere Ziele, zum Beispiel auf Hamburg. Ende Juli und Anfang August gingen dort mehrere Stadtteile in einem Inferno unter; rund
40 000 Menschen kamen ums Leben. Genau so einen Feuersturm wollte Harris auch in der Reichshauptstadt entfachen: »Wir können Berlin von einem Ende bis zum anderen verwüsten, wenn sich die Amerikaner daran beteiligen. Es wird uns zusammen 400 oder 500 Flugzeuge kosten, Deutschland aber wird es den Krieg kosten«, begründete er seinen Plan gegenüber Premier Churchill und erhielt die Genehmigung, ihn in die Tat umzusetzen.Am Abend des 18.November begann die RAF die »Battle of Berlin«, vorerst jedoch ohne Unterstützung durch die United States Army Air Forces (USAAF), die Harris’ Konzept des »moral bombing« für wenig aussichtsreich hielten. 440 Bomber warfen in dieser Nacht 1575 Tonnen Bomben, je zur Hälfte Spreng- und Brandsätze. Vier Tage später folgte ein noch schwererer Angriff, mit 764 Maschinen und 2500 Tonnen Bomben. 24 Stunden später griffen abermals 383 Bomber an, als die Bergungsarbeiten gerade begannen, und noch einmal 443 Maschinen am Abend des 26.November.
Die Folgen waren verheerend. Nach dem zweiten, dem größten Angriff am Abend des 22. November notierte Ursula von Kardorff: »Kaum waren wir unten [im provisorischen Luftschutzkeller], ging die Hölle los, es krachte, schepperte, rollte dumpf und barst mit Geklirr und Gesplitter, Windstöße fegten herein, die Mauern gerieten ins Schwanken, und wir alle dachten nur: Dies ist das Ende.« Auch Hans-Georg von Studnitz, ein Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes, hielt seine Eindrücke fest: »Unbeschreibliche Stunden liegen hinter uns. Wir haben einen Weltuntergang überlebt. (…) Die von Brandgeruch und ausströmendem Leuchtgas [gemeint: Gas für die Straßenlaternen] geschwängerte Luft wird so unerträglich, die Finsternis so undurchdringlich, der Regenschauer vor sich herjagende Sturm so stark, daß unsere Kräfte erlahmen. Dazu versperren umgestürzte Bäume und Leitungsmasten, zerrissene Hochspannungskabel, verkohlte Straßenbahnwagen, Trichter, Gesteinstrümmer und Glasscherben den Weg.« Joseph Goebbels hatte am Abend des
22. November in Steglitz gesprochen und wurde dort vom Alarm überrascht; zunächst ging er in den örtlichen Luftschutzkeller, bekam aber keinen Kontakt zu seinem Befehlsstand unter dem Wilhelmplatz und ließ sich daraufhin nach Mitte chauffieren. Sein ausnahmsweise nur fragmentarisch überliefertes Diktat darüber liest sich untypisch realitätsnah: »Meine Fahrt durch St […] Schöneberg sehr dramat […] llen Ecken und Enden brennt […]chterloh; die Straßen sind versperrt, dauernd […]gen Bomben und Minen herunter, kurz und […] man fühlt sich richtig im Kriegsgebiet.« 20
Die vier Angriffe Ende November 1943 haben sich bei allen Zeitzeugen tief eingegraben; rund die Hälfte der Schilderungen zum Luftkrieg gegen Berlin bezieht sich auf sie. Laut den Akten der Polizei kamen 3901 Menschen ums Leben, eine halbe Million Berliner wurde ausgebombt. Sein wichtigstes Ziel allerdings verfehlte Harris mit diesem ersten Serien angriff ebenso wie mit zwölf weiteren Bombardements bis ins Frühjahr 1944, zu denen ab 6. März noch drei schwere
Weitere Kostenlose Bücher