Hitlers Berlin
sich Vorteile zu sichern, und sogar jüdische »Greifer«, die versteckte Juden an die Gestapo verrieten – in der trügerischen Hoffnung, so überleben zu können.
Die wichtigsten Vorbereitungen für die »Endlösung der Judenfrage« fanden in Berlin statt; im Villenviertel am Großen Wannsee etwa die berüchtigte Konferenz vom 20. Januar 1942. Adolf Eichmann, der »Judenreferent« des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA), hatte sein Büro in der Kurfürstenstraße 116 in Tiergarten, dem requirierten Haus des Jüdischen Brüdervereins; das Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt, dem ab 1942 die Konzentrationslager unterstanden, arbeitete in einem eigens errichteten Bau Unter den Eichen 126 – 135 in Lichterfelde. In den Räumen der Jüdischen Gemeinde neben der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße (Mitte) mussten Juden unter Aufsicht der SS an der Organisation des Holocaust mitwirken und zum Beispiel Transportlisten zusammenstellen. Ganz Berlin war überzogen von Dienststellen des Verfolgungsapparates; allein das RSHA hatte im Dezember 1943 an mehr als 33 Adressen in der Reichshauptstadt Abteilungen und Referate untergebracht. Trotzdem verfügte die Gestapo in ihrer Berliner Behördenspitze nie über mehr als 1660 hauptamtliche Mitarbeiter. 15
Während die Lage für die jüdischen Berliner immer noch schlimmer wurde, normalisierte sich für die »Arier« das Leben in der Reichshauptstadt 1942 scheinbar erneut ein wenig. Es gab in diesem Jahr insgesamt nur acht Luftalarme. Diese Entspannung galt allerdings nur für Berlin. In Großbritannien hatte ein neuer Mann den Befehl über das Bomber Command übernommen: Vice Air Marshal Arthur Harris war überzeugt, man könne Deutschland mit Luftbombardements zur Kapitulation zwingen, wenn man nur hart genug zuschlug. So konzentrierte er seine Kräfte zunächst auf Städte, die er mit seinen damaligen Bombern massenweise angreifen konnte. Lübeck, Rostock, Köln, Emden und weitere west- und norddeutsche Städte erlebten 1942 verheerende Bombardements. Die Berliner dagegen wiegten sich in einer trügerischen Ruhe. Das Bunkerprogramm kam voran, nach den Flaktürmen im Zoo waren nun auch die Paare im Friedrichs- und im Humboldthain einsatzbereit. Noch wusste niemand, dass die Betonfestungen ihren Zweck, die Innenstadt wirksam zu verteidigen, verfehlen würden. Vielen Berlinern aber wurde im Herbst
1942 klar, dass mit einem Sieg auf keinen Fall mehr zu rechnen war. Die 31-jährige Journalistin Ursula von Kardorff hielt am 8. November in ihrem Tagebuch fest: »Hörten abends im englischen Sender von der [alliierten] Landung in Nordafrika. In diesem Moment wurde mir klar, daß beide Brüder nicht mehr an den Sieg glauben. Ich fühlte es deutlich. Die meisten, die von der Front kommen, sind anders, sie kennen nur ihren Abschnitt und haben keine Übersicht über das Ganze – stehen dem Berliner Pessimismus befremdet oder sogar ärgerlich gegenüber.« Hitler hielt sich 1942 nur insgesamt 25 Tage in Berlin auf. Am 26. April zum Beispiel sprach er auf der letzten Sitzung des Reichstages in der Krolloper und reiste direkt im Anschluss Richtung Berchtesgaden ab. Im Mai und Juni war er viermal kurz in der Reichskanzlei. Er hielt eine Rede im Sportpalast vor Offiziersanwärtern, ein anderes Mal trat er beim Staatsbegräbnis für RSHA-Chef Reinhard Heydrich auf, der bei einem Attentat in Prag am 27. Mai tödlich verletzt worden war. Beides wa ren nicht-öffentliche Veranstaltungen, an denen die Berliner nur im Nachhinein über Zeitungen und Wochenschau teilhatten. Während Hitlers Anwesenheit gab es keinen einzigen Luftalarm. 16
Die Luftschlacht um Berlin
Trotzdem sorgte sich der Diktator um seine persönliche Sicherheit für den Fall, dass er einmal in Berlin von Bombern überrascht würde. Am
16. Januar 1943 griff die RAF zum ersten Mal seit Monaten wieder die Reichshauptstadt an. Die Attacke machte großen Eindruck auf Hitler, obwohl er sich in seinem Hauptquartier Wolfsschanze aufhielt: Telefonisch erkundigte sich der Kanzler bei seinem Propagandaminister nach den Schäden, und auf der nächsten turnusmäßigen Konferenz mit Rüstungsminister Speer, die am 18. Januar 1943 stattfand, ordnete er an: »Da der Luftschutzbunker in der Reichskanzlei nur eine Deckenstärke von 1,6 Meter hat, ist im Garten sofort ein Bunker nach den neuen Abmessungen (3,5 Meter Decke, 3,5 bis 4 Meter Seiten), aber mit denselben inwendigen Abmessungen wie der jetzt vorhandene Führerbunker zu
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