Hitlers Berlin
bauen.« Drei Wochen später legte Speer Vorschläge für den Neubau vor; die Arbeiten begannen nach geringen, von Hitler gewünschten Veränderungen im April. 17
Zu diesem Zeitpunkt hatte die Reichshauptstadt bereits einen weiteren, den bisher schwersten Luftangriff hinter sich. Mindestens 709 Menschen starben und über 64 000 verloren ihre Wohnung, als 251 schwere Bomber am 1. März 1943 ihre tödliche Last über der Stadt abwarfen. Ursula von Kardorff notierte in ihrem Tagebuch: »Heute stellt sich heraus, daß es 1700 Brandstellen gab, der Prager Platz, gar nicht weit von uns, ist völlig zerstört.« Goebbels, der gerade vom Obersalzberg zurückkehrte, diktierte: »Die ganze Schwere dieses Angriffs (…) kommt mir zu Bewußtsein, als der Zug langsam in Berlin einfährt. (…) Es gibt eine Riesenzahl von Schadensstellen.Auch industrielle Werke und öffentliche Gebäude sind schwer betroffen worden. Die Hedwigskathedrale ist völlig ausgebrannt, dazu noch vier andere Kirchen, eine Reihe von Krankenhäusern, Altersheimen etc.« Goebbels begab sich sofort auf eine Inspektionstour, ließ sich im nun offenen Rund der Kathedrale von Kameraleuten der Wochenschau aufnehmen und sagte zu, wenigstens eine kleine Kapelle umgehend wieder herrichten zu lassen – aus einem zynischen Grund, wie er in seinem täglichen Diktat bemerkte: »Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft.« Der SD berichtete: »Vielfach werde geäußert, die Engländer seien offenbar in der Luft überlegen, die deutsche Luftwaffe sei zur Zeit ›ohnmächtig‹ und habe keine Möglichkeit, entsprechende Vergeltung zu üben.« Anzeichen für wachsende Ablehnung des Regimes jedoch registrierte der Geheimdienst nicht; auch Goebbels fürchtete nichts dergleichen: »Man braucht also nicht zu glauben, daß die Berliner Bevölkerung einem solchen massiven Luftangriff moralisch nicht gewachsen wäre.« Im Gegenteil zeigte sich nun, dass der inzwischen jederzeit drohende Tod aus der Luft Nazi-Führung und Bevölkerung geradezu aneinander fesselte, zumal die NSDAP die schamhaft »Soforthilfe« genannte Unterstützung der Ausgebombten mit Lebensmitteln, bescheidenen Ersatzquartieren und dem Lebensnotwendigsten organisierte. Die Angst vor den Luftangriffen glich sogar teilweise die Erschütterungen aus, die durch die Niederlage von Stalingrad ausgelöst worden waren. »Die Katastrophen, die Nazis wie Antinazis gleichermaßen treffen, schweißen das Volk zusammen«, notierte Ursula von Kardorff, und weiter: »Wenn die Engländer glauben, die Moral zu untergraben, so geht diese Rechnung nicht auf.« Höchstens wuchsen die Spannungen zwischen den Regionen des Reiches. Die Hauptstadt war immer unbeliebt gewesen in West- und Süddeutschland; nun kursierte im Ruhrgebiet ein Spottgedicht, das sich auf die Reaktion des Publikums auf Joseph Goebbels’ Frage »Wollt Ihr den totalen Krieg?« bei seiner Rede im Sportpalast am 18. Februar 1943 bezog:
»Lieber Tommy, fliege weiter,
Wir sind alle Ruhrarbeiter,
Fliege weiter nach Berlin,
Die haben alle ›Ja‹ geschrieen.« 18
Eine interessante Deutung des Bombardements vom 1.März 1943 überlieferte Ursula von Kardorff: »In ganz Berlin das Gerücht, dieser Angriff sei die Antwort auf die Judenverschleppungen.« Einen Zusammenhang zu vermuten lag in der Tat nahe. Am 27.Februar hatte die Gestapo in der Reichshauptstadt die »Fabrikaktion« gestartet: In Betrieben, auf der Straße und in ihren Wohnungen wurden jene 8 000 bis 10 000 »Volljuden« verhaftet, die noch als Zwangsarbeiter in der Industrie oder für die Jüdische Gemeinde arbeiteten. Die meisten wurden wenige Tage später nach Auschwitz deportiert. Da die Massenverhaftungen häufig in den Unternehmen und damit vor den Augen der nichtjüdischen Mitarbeiter abliefen, sorgte das Vorgehen der Gestapo für Aufsehen und wurde auch international bekannt.
Heute erinnert man sich an die »Fabrikaktion« vor allem aus einem anderen Grund: Mit den »Volljuden« verhaftete die Gestapo mehrere tausend »arisch versippte« Juden oder »Halbjuden« und verschleppte sie in das Sammellager Rosenstraße (Mitte). Vor dem Eingang der ehemaligen Sozialverwaltung der Jüdischen Gemeinde sammelten sich Anfang März
1943 einige Dutzend Angehörige zum meist stillen Protest, vor allem »arische« Ehefrauen. Es gab keine großen Demonstrationen, wie in vielen Büchern behauptet und jüngst in dem Spielfilm Rose nstraße von Margarete von Trotha inszeniert. Nach einigen Tagen wurden die
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