Hitlers Berlin
den verheerenden Angriffen Ende November rief Hitler seinen Gauleiter an; Goebbels diktierte über das Gespräch: »Auch der Führer ist wie ich der Meinung, daß Berlin in diesem Krieg herankommen und Wunden empfangen mußte, wenn es sich für die spätere Zeit als Reichshauptstadt durchsetzen will. Daß Berlin in so großem Stil mit den feindlichen Schlägen fertig geworden ist, wird auch für seine politische Zukunft von Ausschlag gebender Bedeutung sein.« Trotz dieses »Mitgefühls« war Hitler auch im ganzen Jahr 1944 nur zweimal in der Reichshauptstadt, Anfang Juli zum Staatsbegräbnis für Generaloberst Eduard Dietl sowie knapp drei Wochen Ende November und Anfang Dezember. Am 5. Dezember gab es einen schweren Angriff der USAAF, der sich allerdings auf Industrieanlagen im Norden Berlins konzentrierte; Mitte war nicht betroffen. Wenige Tage später begab sich Hitler in das neue Führerhauptquartier Adlernest bei Bad Nauheim, um die Ardennenoffensive zu befehligen. 23
Exkurs: Hauptstadt des Widerstandes?
Die zentrale Gedenkstätte Deutscher Widerstand liegt in Berlin, im Bendlerblock am Landwehrkanal, dem ehemaligen Oberkommando des Heeres. Das ist kein Zufall: In genau jenen Räumen, in denen heute an alle NS-Gegner – ob kommunistisch oder nationalkonservativ – erinnert wird, scheiterte am Abend des 20. Juli 1944 der Staatsstreich des Grafen Claus von Stauffenberg.Angesichts dessen ist wenig überraschend, was 1978 der damalige Regierende Bürgermeister Dietrich Stobbe bei der Gedenkfeier sagte: »Berlin war die Hauptstadt des Widerstandes gegen Hitler.« Der dezidiert linke Schriftsteller Bernt Engelmann schrieb 1986: »Trotz drakonischer Strafen (…) hielt der Widerstand der Berliner gegen die braune Diktatur unvermindert an. Kaum hatte die Gestapo ihn an einer Stelle ausgelöscht, flackerte er anderswo wieder auf.« Darin war sich Engelmann ausnahmsweise einig mit Helmut Kohl. Der Bundeskanzler betonte 1987 zur Eröffnung des 750-jährigen Stadtjubiläums: »In Berlin, dem späteren Zentrum des Widerstandes, hat die NSDAP niemals eine Mehrheit gefunden.« Bundespräsident Richard von Weizsäcker, im Zweiten Weltkrieg Mitwisser des Widerstandes, sagte 1990: »Als Berlin später Machtmittelpunkt der nationalsozialistischen Herrschaft und damit Ausgangspunkt für Weltkrieg und Holocaust wurde, lag dies zuallerletzt an den Berlinern. (…) Auch jener Aufstand gegen Hitler, für den wir die Männer und Frauen des 20. Juli ehren, ist mit Berlin verbunden.« 24
Auf den ersten Blick leuchten diese Urteile ein. Nicht nur der versuchte Staatsstreich am 20. Juli 1944 selbst, auch die meisten Vorbereitungen dazu fanden in Berlin statt, im Haus der Gebrüder Stauffenberg in der Tristanstraße 8– 10 (Wannsee) zum Beispiel und bei Spaziergängen im Grunewald, bei denen Henning von Tresckow die geheimen Befehle für die Zeit nach Hitlers Tod formulierte. Und auch abseits dieses Offizierskreises war die Opposition in der Stadt sehr aktiv: In der Wohnung von Peter Graf York von Wartenburg in der Hortensienstraße 50 in Lichterfelde trafen sich über Jahre hinweg die dem Regime gegenüber skeptischen Beamten, Geistlichen und Offiziere, deren Netzwerk die Gestapo den Namen »Kreisauer Kreis« gab, obwohl auf dem schlesischen Gut Kreisau nur drei Treffen stattgefunden hatten. Die Widerstandszelle in der Abwehr, dem militärischen Geheimdienst, um Hans von Dohnanyi und Hans Oster arbeitete in Berlin. In der Dahlemer St. Annen-Kirche predigte bis zu seiner Verhaftung Martin Niemöller; in Berlin lebten andere bedeutende Köpfe der Anti-Hitler-Bewegung wie Julius Leber, Dietrich Bonhoeffer und Adolf Reichwein. In der Mittwochsgesellschaft trafen sich konservative Gelehrte und Beamte wie Jens Jessen, Johannes Popitz und Ulrich von Hassell, im Kreis um die Witwe des ehemaligen deutschen Außenministers Wilhelm-Heinrich Solf zum Beispiel Otto Carl Kiep und Elisabeth von Thadden.
Das alles stimmt– und trotzdem wäre es irreführend, die Ursache für die starke Präsenz von Widerstand in Berlin in einer besonderen Abneigung der Einwohner gegen Hitler zu suchen: »Natürlich war Berlin insoweit per se ›Hauptstadt des Widerstandes‹, als es Hauptstadt des Deutschen Reiches war«, urteilt der Historiker Wilhelm Ernst Winterhager. Denn selbstverständlich war die Opposition darauf angewiesen, ihre Gewährsleute in Machtpositionen am Sitz der Regierung zu schleusen, sofern sie nicht ohnehin hier lebten. Aber, so betont
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