Hitlers Berlin
Tagesangriffe durch die USAAF kamen: Es gelang nicht, die Reichshauptstadt zu »hamburgisieren«, wie die RAF-Offiziere das Legen eines Feuersturms aus der Luft zynisch nannten. Das hatte mehrere Gründe. Der wichtigste war die Struktur der Stadt: In Berlin gab es keinen mittelalterlichen Stadtkern aus Fachwerkhäusern, die wie Zunder brannten; außerdem waren die Straßen in der Reichshauptstadt breiter, es gab viele Kanäle und Parks, die meisten Wohngebiete bestanden aus solide gemauerten Häusern des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die alle über Brandmauern verfügten. Auch hatte Goebbels nach der Verwüstung Hamburgs durchgreifende Maßnahmen ergriffen, um den Luftschutz in Berlin besser zu organisieren. Drittens waren die klimatischen Bedingungen im November 1943 ganz anders als in dem drückend heißen Sommer; erst ein Jahr später waren die britischen Bomberverbände technisch in der Lage, bei fast jedem Wetter Feuerstürme am Boden zu entfachen.
Die Opferzahlen waren wegen des Ausbleibens des Feuersturms verglichen mit Hamburg niedrig, aber auch, weil Goebbels am 1. August 1943 große Evakuierungen angeordnet hatte: 700 000 Menschen, vor allem Frauen und Kinder, verließen in den folgenden Monaten die Hauptstadt, ein Drittel der Schulen wurde ins Umland verlagert. Zwischen 2,5 und drei Millionen Bewohner blieben in Berlin. Doch auch ohne Feuersturm waren die Verwüstungen erheblich. So brannten das Schloss Charlottenburg und die Bebauung von dort bis zum knapp einen Kilometer entfernten Rathaus weitgehend aus. Der »alte Westen« von der Budapester Straße bis zur Potsdamer Brücke war »verschwunden«; die Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche wurde zur »leuchtenden Brandfackel«; das Hansa-Viertel verglühte; am Wilhelmplatz wurde das Hotel Kaiserhof zerstört, die gegenüberliegende Reichskanzlei trug erste Treffer davon – ironischerweise vor allem der Festssaal, unter dem Hitlers privater Luftschutzraum lag, der vollkommen intakt blieb. Die Luftangriffe führten nicht zu verstärkter Regimekritik, was selbst die Berichterstatter des SD überraschte. 21
Daran ändert sich auch in den ersten Monaten des Jahres 1944 nichts, in denen die Angriffe der RAF weitergingen. Erst Ende März brach Harris unfreiwillig die Luftschlacht um Berlin ab – sie hatte den Alliierten zwar die prognostizierten Verluste (607 britische Bomber wurden abgeschossen, 3 347 Mann Besatzung kamen ums Leben, 992 gerieten in
Totaler Krieg: Der Französische Dom auf dem Gendarmenmarkt in Flammen, 27. Mai 1944
Kriegsgefangenschaft) und Berlin schwere Verwüstungen gebracht (mehr als 9 000 Tote und rund 812 000 Obdachlose), aber nicht das erhoffte Ergebnis gehabt: das Ende des Krieges. Premierminister Churchill stellte den Sinn der Flächenbombardements in Frage. An Josef Stalin telegrafierte er schon am 9. Januar 1944: »Wenn wir wieder in Teheran wären, würde ich Sie über den Tisch fragen, wann wir mit der Zerstörung Ber lins aufhören sollen, damit noch genügend Unterkünfte für die Sowjetarmee übrig bleiben.« Ab April griff das Bomber Command daher auf die Taktik der kleinen Mosquito-Angriffe zurück. Die schweren Bomber konzentrierten sich nun darauf, die französische Kanalküste invasionsreif zu machen. Entspannung gab es für die Reichshauptstadt dennoch nicht, denn mehrfach attackierten hunderte US-Bomber tagsüber Ziele in und um Berlin. Auch im Sommer, Herbst und Winter 1944 heulten im Schnitt jeden dritten Tag die Sirenen, gingen immer weitere Wohnhäuser und wertvolle Kulturgüter verloren. Die Stadt wurde »abgefeilt wie ein Zahn«, wie der Publizist Jörg Friedrich das Verfahren nannte. 22 Während der Luftschlacht um Berlin kam Hitler kein einziges Mal in die Reichshauptstadt. Vom 20. bis 22. März 1943, wieder einmal zufällig zwischen mehreren schweren Angriffen, war er in der Stadt und sprach im Hof des Zeughauses Unter den Linden anlässlich des »Heldengedenktages« – zum letzten Mal, denn im folgenden Jahr war der barocke Prachtbau bereits eine rauchende Ruine. Im Mai logierte Hitler zum zweiten und letzten Mal in diesem Jahr in der Reichskanzlei, diesmal sieben Tage. Doch weder zeigte er sich den Berlinern noch besichtigte er die Bombenschäden. Am 20. November 1943 hielt der Staatschef die jährliche Rede vor Offiziersanwärtern, die bislang stets im Berliner Sportpalast stattgefunden hatte; nun war sie der Luftgefahr wegen nach Breslau verlegt worden. Danach reiste er zurück in die Wolfsschanze. Nach
Weitere Kostenlose Bücher