Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
weder gutes Zureden noch Argumente. Also wog sie ihn in der Sicherheit, die er brauchte, und machte ihr eigenes Ding. Und wie richtig sie mit dieser Strategie lag, hatte sein Anruf vorhin doch mal wieder eindrucksvoll bewiesen!
Aber …
Silvie hielt erschrocken inne. Ja, verdammt, jetzt fiel ihr auch wieder ein, wo sie den Kerl aus dem Supermarkt schon einmal gesehen hatte!
Sie richtete sich langsam auf und versuchte zu verstehen, was gerade in ihrem Kopf vorging. Hendrik hatte sie angerufen und ihr Vorwürfe gemacht, dass sie mit den Kindern im Zoo gewesen war, ohne ihm etwas davon zu sagen. Seine Tirade war über sie hereingebrochen wie ein Platzregen, und sie hatte automatisch angenommen, dass es um die Schwangerschaft ging. Eine von seinen überbesorgten Verhaltensmaßregeln. Das Kind nicht gefährden. Sich schonen. Möglichst nicht aus dem Haus gehen. Vor allem nicht, wenn es so heiß
ist. Alles gut und schön. Aber woher hatte er überhaupt davon gewusst? Wodurch war er anderthalb Wochen nach diesem Zoobesuch darauf gekommen, dass sie dort gewesen war? Und was spielte das im Nachhinein überhaupt noch für eine Rolle? Die Zeit, die seither ins Land gegangen war, hatte doch längst den Beweis erbracht, dass die Aktion das ungeborene Kind nicht gefährdet hatte. Also warum, in aller Welt, hatte sich Hendrik derart über die Sache aufgeregt?
Silvie starrte die Terrassentür an, während ihr Verstand versuchte, eins und eins zusammenzuzählen.
Hendrik hatte auch gesagt, dass er später komme, weil der Fall vor einer entscheidenden Wendung stehe. Der »Fall« war der Vergewaltiger, die Bestie, und …
Sie kam nicht dazu, den Gedanken zu Ende zu denken, denn auf der Wand gegenüber erschien in diesem Augenblick ein Schatten. Und dieses Mal hatte er unverkennbar die Silhouette eines Menschen.
18
»Madeleine?«
»Ja, verdammt«, drang ihre Stimme aus dem Lautsprecher der Freisprechanlage. »Irgendetwas stimmt da nicht.« Wenn sie aufgeregt war, klang sie genau wie Silvie. Etwas, das beiden nicht gefallen würde, wenn sie darum wüssten.
»Was meinst du?«, fragte Verhoeven alarmiert. Er befand sich auf dem Weg ins Präsidium. Noch immer keine Spur von Kender, dafür hatte die Staatsanwaltschaft Haftbefehl gegen Kira Schönenberg ausgestellt. Wegen vorsätzlichen Mordes an Jan Portner. Er hatte die Durchsuchung der Wohnung überwacht und Winnie Heller Bescheid gegeben, nachdem das Durchsuchungsteam fündig geworden war. Merle Olsen hatte kein Wort gesagt, als der Anruf gekommen war.
»Silvie.« Ihr Ton war atemlos. »Wir haben telefoniert, und irgendwann hat sie mich abgewürgt.«
Was ich durchaus verstehen kann, dachte Verhoeven.
»Sie hat gesagt, sie riefe mich gleich zurück«, fuhr seine Schwägerin indessen mit ungebremster Energie fort. »Aber das hat sie nicht getan.«
Verhoeven hatte das Gefühl, in einen Eimer mit eiskaltem Wasser getaucht zu werden. »Was?«, stieß er hervor. So nervig Madeleine auch sein konnte, seine Frau war von Natur aus kein Typ, der Versprechungen machte, die er nicht einhielt. Das heißt, bis auf Dinge wie Zoobesuche und übermäßige Anstrengungen während der Schwangerschaft und …
»Verdammt noch mal, Hendrik, vielleicht ist was mit dem Baby«, riss die Stimme seiner Schwägerin ihn aus seinen Gedanken.
»Hast du denn noch mal versucht, sie zu erreichen?«
»Natürlich.«
»Und?«
»Sie meldet sich nicht.« Madeleine hatte hörbar Mühe, ruhig zu bleiben. »Und immerhin müsste Nina doch auch da sein, oder? Und wenn ein Telefon so lange ins Leere klingelt … Ich meine, selbst wenn sie einen tiefen Schlaf hat …« Sie ließ den Satz offen, und aus ihrem Schweigen klang nackte Angst.
»Ich fahre hin und sehe nach«, sagte Verhoeven und riss nach einem kurzen Blick in den Rückspiegel das Lenkrad herum. Über die Hügel auf der anderen Rheinseite zuckte ein Blitz.
»Aber …«
»Ich rufe dich an, sobald ich mehr weiß, okay?«
»Ja«, antwortete seine Schwägerin mitten in den Donner, der das sonst so liebliche Rheintal erzittern ließ. »Okay.«
19
Winnie Heller kippte einen längst erkalteten Kaffee in sich hinein und stellte zu ihrer eigenen Überraschung fest, dass sie fror. Zum ersten Mal seit Wochen. Sie griff in den kleinen Schrank in der Ecke hinter ihrem Schreibtisch und zog eine Strickjacke hervor, die sie für alle Fälle dort aufbewahrte. Dann setzte sie sich wieder auf ihren Stuhl.
Kira Schönenberg hatte
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