Hitzschlag: Ein Fall für Heller und Verhoeven (German Edition)
das Blitzen in seinen Augen. »Was ist, kannst du ’ne Stunde hier weg?«
Sie schüttelte den Kopf. »Wir sind mit Kira Schönenberg noch immer nicht durch«, erklärte sie. »Ich brauchte nur mal ’ne kleine Auszeit.«
»Als wenn ich’s geahnt hätte«, brummte er und griff in die
Tüte, die er mitgebracht hatte. »Ich wusste bis gestern nicht, dass Luigi inzwischen auch einen Mitnehm-Service unterhält«, erklärte er, während er Plastikschalen, Plastikbesteck und stapelweise Servietten ans Tageslicht beförderte. »Also, was darf’s sein? Der knackige Sommersalat mit Shrimps und Oliven oder der mit dem dreifach ungesättigten Omega-Drei-Super-Vitamin-Dressing? «
Winnie Heller lachte. »Ich habe keine Zeit zum Essen.«
»O doch«, gab er zurück. »Wenn’s um die Gesundheit geht, hat man immer Zeit zu haben. Sagt ’ne Freundin von mir, ’n verdammt vorlautes junges Ding …«
»Na schön«, sagte Winnie. »Dann gib mir den mit dem Schinken.«
»Das ist geräucherte Putenbrust«, triumphierte Lübke. »Die hat angeblich nur 0,6 Prozent Fett gegenüber …«
»Hör bloß auf«, quiekte Winnie. »Du verdirbst mir noch den Appetit!«
20
Silvie Verhoeven presste eine Hand auf den Mund ihrer Tochter. Selbst durch die Dunkelheit des Kinderzimmers sah sie das Entsetzen in Ninas Augen. Entsetzen und Protest.
Sei still, Liebes, okay?, baten Silvies Augen. Ich lasse dich los, aber du musst mir versprechen, dass du ganz leise bist. Kannst du das?
Ihre Tochter nickte. Starr vor Schreck. Aber auch verständig.
Silvie lockerte den Griff etwas, und als sie sicher war, dass sie einander richtig verstanden hatten, nahm sie die Hand ganz fort.
Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass ihr Handeln nicht unbedingt
klug gewesen war. Aber sie hatte zu ihrem Kind gewollt. Nur zu ihrem Kind.
Nun freilich stellte sie sich die Frage, wie sie Nina schützen sollte. In diesem Zimmer, in dem es nicht einmal ein Telefon gab. Das Handy lag zwei Türen weiter im Schlafzimmer. Aber sie hatte keine Ahnung, ob sie eine Chance hatten, bis dorthin zu kommen.
Ein neuerlicher Donner riss die Stille des Hauses in Stücke.
Neben ihr fuhr Nina erschrocken zusammen.
Vor einer halben Ewigkeit war das Telefon im Wohnzimmer verstummt. Es hatte zu klingeln begonnen, im selben Moment, in dem Silvie durch das Wohnzimmer in die Diele und die Treppe in den ersten Stock hinaufgehuscht war. Ihr Mann hatte sie schon oft dafür aufgezogen, dass sie grundsätzlich nur wenig Licht machte und lieber ein paar Kerzen anzündete, als jeden Winkel des Hauses elektrisch auszuleuchten. Er behauptete gar, ihre Abneigung gegen Neonlicht liege in ihrer Eitelkeit begründet, doch in Wahrheit genoss sie es einfach, von Zeit zu Zeit im Dunkeln zu sitzen. Die Farbe des Nachthimmels zu betrachten. Und die Sterne.
Deshalb war auch die Diele dunkel gewesen, als sie den Schatten des Fremden auf der Terrasse bemerkt hatte. Deshalb – und nur deshalb – bestand zumindest die vage Möglichkeit, dass er sie nicht bemerkt hatte …
Sie lauschte angestrengt in die Dunkelheit.
Was ist los, Mama?, fragten Ninas Augen. Was ist denn passiert?
Sei ruhig , gab sie stumm zurück. Es wird alles gut.
Sie gab ihrer Tochter mit einer Geste zu verstehen, dass sie ihr folgen sollte, und schlich zur Tür. Erst als sie bereits neben dem Bettchen ihres Kindes gekniet hatte, war ihr bewusst geworden, dass man die Tür zu Ninas Zimmer nicht abschließen konnte. Sie selbst hatte den Schlüssel entfernt, nachdem
ihre Tochter und Dominik sich aller Verbote zum Trotz ein paarmal dort eingesperrt hatten. Also hatten sie jetzt nur zwei Alternativen: Entweder sie versteckten sich in einem der anderen Räume. Oder sie versuchten, irgendwie nach draußen zu gelangen.
Von ihrem Schlafzimmer aus war es möglich, auf das Garagendach zu springen. Ein paar Kratzer vielleicht, das sollte bei Nina alles sein. Und bei ihr selbst …
Sie zuckte zusammen, als eine Welle von Schmerz durch ihren Bauch schoss.
Bleib bloß, wo du bist, dachte sie und meinte ihr ungeborenes Kind. Nur noch ein paar Stunden, okay? Bitte!
Nina, die spürte, dass sie Schmerzen hatte, legte ihr zaghaft-ängstlich eine Hand auf den Arm.
Schon gut, mein Schatz. Komm einfach mit …
Noch drei Schritte zur Tür.
Dahinter der Flur. Am Ende des Flurs die Galerie. Und davor das rettende Schlafzimmer. Handy oder Garagendach. Zwei Möglichkeiten, die sie nutzen konnte. Zwei
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