HMJ06 - Das Ritual
mehr.«
Jack blinzelte. »Zwanzigtausend? Ist sie so gut?«
»Es gibt einen großen Unterschied zwischen heiß und gut, aber ich mag Junies Arbeiten. Sie kreiert diese einmalige Mischung aus heiß und kalt. Eine Art Mittelding zwischen De Kooning und Mondnan, wenn du dir so etwas vorstellen kannst.«
Jack konnte nicht, weil er von keinem der beiden irgendein Werk kannte.
»Du scheinst dich für sie zu freuen.«
»Das tue ich auch. Sie ist ein liebes Kind. Ich bin fast zehn Jahre älter als sie, und sie hat mich während der letzten Jahre irgendwie als Ersatzmutter adoptiert. Sie ruft mich zweimal die Woche an, um mit mir zu schwatzen oder sich einen Rat zu holen.«
»Und du bist nicht neidisch, dass sie den Durchbruch geschafft hat und du nicht?«
»Kein bisschen. Ich behaupte nicht, dass ich mir nicht wünsche, an ihrer Stelle zu sein, aber wenn schon jemand anders dieses Glück haben sollte, bin ich froh, dass es Junie getroffen hat. Sie ist ein wenig abgedreht, aber sie hat Talent, und ich mag sie.«
Das war typisch Gia. Die Ernährerin und Beschützerin ohne eine Spur von Neid oder Eifersucht. Ein weiterer der vielen Gründe, weshalb er sie liebte. Doch selbst wenn es sie nicht störte, Jack fuchste es, den Schrott zu sehen, der in den Galerien und Ausstellungen hing, zu denen sie ihn immer hinschleppte, während ihre eigenen Gemälde in ihrem Atelier herumstanden und verstaubten.
»Aber ihr Zeug ist nicht halb so gut wie deines.«
»Meine Arbeiten sind anders.«
Gia verdiente sich ihren Lebensunterhalt mit Werbegrafik. Sie arbeitete sehr viel für die Werbung, aber im Laufe der Jahre hatte sie sich bei den Art Directors der städtischen Buchverlage einen Ruf als talentierte und zuverlässige Künstlerin erworben. Sie war mit Jack in der vorangegangenen Woche durch das Kaufhaus Barnes and Noble geschlendert und hatte ihm ihre Arbeiten auf einem halben Dutzend Hardcoverausgaben und großformatigen Paperbacks gezeigt.
Hübsche Sachen, aber nicht mit den Bildern zu vergleichen, die Gia für sich selbst entwickelte. Die gefielen Jack ganz besonders. Er hatte wenig Ahnung von Kunst, aber bei seinen Rundgängen mit Gia hatte er einiges aufgeschnappt, und ihre städtischen Dachlandschaften erinnerten ihn an Edward Hopper, einen der wenigen Künstler, dessen Bilder anzusehen er sogar Eintritt zahlen würde.
Junie ließ sich in die enge Lücke neben Gia auf die Couch fallen und verschüttete dabei ein paar Tropfen ihres Drinks. Ihre blau geschminkten Augenlider waren ein wenig auf Halbmast gesunken. Jack fragte sich, wie viel sie wohl schon intus hatte.
»Hey«, sagte sie und gab Gia einen Kuss auf die Wange.
Gia machte sie mit Jack bekannt, und sie tauschten über Gia hinweg einen Händedruck aus. Sie sah genauso trübsinnig aus, wie Jack sich fühlte.
Gia versetzte ihr einen Rippenstoß. »Warum so niedergeschlagen. Dies hier ist deine Party. Du bist der Stargast des Abends.«
»Ja, ich glaube, ich sollte es lieber in vollen Zügen auskosten.« Sie trank einen Schluck von ihrem Cosmopohtan. »Meine Viertelstunde Ruhm dürfte sowieso schon vorbei sein.«
»Was redest du da?«
»Mein Glücksarmband. Es ist weg. Das ist der einzige Grund für meinen Erfolg.«
»Glauben Sie, es wurde gestohlen?«, fragte Jack, schaute auf ihr nacktes Handgelenk und ließ dann den Blick über die Partygäste schweifen. Dort herrschte sicherlich keinerlei Mangel an Neid, dachte er. »Wann haben Sie es zum letzten Mal gesehen?«
»Am Dienstag. Ich kann mich erinnern, dass ich es abnahm, nachdem ich ein Bild beendet hatte. Ich habe geduscht und bin danach einkaufen gegangen. Am nächsten Morgen wollte ich es anlegen, ehe ich mit einem neuen Bild anfing, und da war es verschwunden.«
»Fehlt sonst noch etwas?«, wollte Jack wissen.
»Nichts.« Sie leerte ihr Glas. »Und es ist auch nicht wertvoll. Ein altes Stück Modeschmuck, das ich in einem Trödelladen gefunden habe. Es sieht aus wie selbst gebastelt – ich meine, es hat als Stein ein Katzenauge, ausgerechnet –, aber mir gefiel es, und ich habe es geliebt. Sobald ich anfing es zu tragen, haben meine Bilder sich immer besser verkauft. Ich denke, das Armband hat das bewirkt.«
»Tatsächlich?«, sagte Jack. Er spürte, wie Gias Hand sich auf seinen Oberschenkel legte und drückte. Sie versuchte, ihn davon abzuhalten, das auszusprechen, was er sich, wie sie wusste, gerade in Gedanken zurechtlegte. Aber er achtete nicht darauf und redete weiter. »Also hat das Ganze
Weitere Kostenlose Bücher