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Hochsaison. Alpenkrimi

Titel: Hochsaison. Alpenkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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warf, seine Gewehrhülle schulterte und hinausging, nicht ohne die Türe geräuschvoll zuzuschlagen. Nur der Mediator Manfred Penck, quasi ein gelernter Konfliktlöser, stand auf, um ihm nachzugehen und ihn zu beschwichtigen. Als er jedoch draußen auf der Straße stand, war der Angerer Willi
schon außer Sichtweite. Der Psychologe legte den Kopf in den Nacken und sog die milde Winterluft ein.
     
    Der Angerer Willi war immer noch wütend. Er ging zum örtlichen Polizeirevier und machte dort eine Aussage. Polizeiobermeister Johann Ostler hatte gerade Dienst, ein gemütlicher, aber gewissenhafter Beamter, dessen Familie schon seit der Römerzeit im Talkessel lebte. Ostler kannte jeden Stein im Ort. Er tippte die emotional aufgeladenen Spekulationen Angerers geduldig und seufzend in die Schreibmaschine (die EDV war schon wieder einmal kaputt), und genau diese Spekulationen lieferten am Morgen des übernächsten Tages die Schlagzeilen der Lokalblätter.

7
    Die Frau mit dem Lederhut beugte sich vorsichtig über den Rand der Grasnarbe und wagte einen Blick nach unten in die gischtsprühende Klamm. Es war lediglich ein kleiner Schmelzbach, der in die Schlucht eingepfercht und dadurch monströs angeschwollen war und der sich jetzt aufspielte wie eine reißende Sturzflut, eine urgewaltige Kaskade vorzeitlicher Wasserverschwender. Zersplittertes Treibholz rumpelte durch den engen Wildparcours, staute sich da und dort mannshoch, um schließlich umso wütender wieder hinunterzubrechen in den alpinen Canyon. Gerade war wieder eine ausgewachsene Buche, die der Blitz gefällt und in die Klamm gestürzt hatte, an die Felswand gepfeffert worden, die Holzsplitter spritzten hinauf bis zu der Frau mit dem Lederhut. Wie sollte sie auf die andere Seite der Schlucht gelangen? Über den Abgrund zu springen war jedenfalls nicht möglich. Plötzlich legte sich eine Hand auf ihre Schulter, eine große, muskulöse Hand. Eine sehnige Hand, eine Hand, die zupacken konnte. Sie erschrak nicht, sie drehte sich ruhig um, sie kannte den Griff. Es war der Fallensteller, ein schweigsamer und bedächtiger Mann, der jetzt schon einige Stunden mit ihr unterwegs war und keine zwei Worte gesagt hatte. Er trug einen breiten Gürtel aus Kalbsleder, an dem der Lendenschurz und die zwei Beinröhren aus Schilfgras befestigt waren. Die Gefährten waren alle in dieser Art gekleidet, manche besaßen noch einen Umhang aus Pfeifengras als Regenschutz, manche eine Mütze aus Braunbärenfell.
    Der Fallensteller hob die Hand und deutete stumm flussaufwärts.
Dort oben, am Ufer, winkten und schrien die beiden anderen aus ihrer kleinen Gruppe: das Mädchen mit dem Schakalsgesicht und der Junge, der den Feuerschwamm trug. Sie deuteten aufgeregt auf ein zerfasertes Hanfseil, das mit plumpen Holzpflöcken über die Klamm gespannt war. Es war drei oder vier Gemsensprünge lang und sah nicht gerade vertrauenerweckend aus. Aber sie hatten keine andere Wahl. Sie alle mussten hinüber über die zornsprudelnde Schlucht, den wüsten Einriss in der Haut des lieblichen Voralpenlandes, hier auf dieser Seite waren sie nicht mehr sicher. Obwohl der Fallensteller ein großer und starker Kerl war, beugte er sich zögerlich über den Rand der Schlucht. Alle bemerkten, dass er zitterte. Jetzt umfasste er den groben Hanf, der mit dunkelrotem Harz getränkt war. Er schloss die Augen und murmelte ein Stoßgebet zu Bi-mora-boro, dem gütigen Gott und Nothelfer, der hinter der Sonne wohnte. Schließlich nahm der Fallensteller all seinen Mut zusammen und ließ sich bäuchlings auf die schwankende Brücke gleiten. Zehn feste Griffe, schon hatte er sich bis zur Mitte vorgearbeitet. Da und dort rissen bereits die ersten feinen Hanffasern, und auch der Pflock, über den die Schlaufe drüben am anderen Ufer geworfen worden war, neigte sich bedrohlich. Der Fallensteller war jetzt am Rand der Klamm angekommen, er griff mit der Hand nach einer frei hängenden Wurzel, die ihm stark genug schien, zog sich an ihr hoch, gewann Land und fiel erschöpft auf die nasskalte Erde. Hinter sich, drüben auf der anderen Seite, hörte er die freudigen Schreie der Gefährten.
     
    Die Sonne ging auf, Eile war geboten. Bei Tag mussten sie drüben sein. Jetzt war der Junge, der den Feuerschwamm trug, an der Reihe. Er zurrte die Tasche fest, die er auf dem Rücken trug, und ging wortlos ans Steilufer. Er wählte eine andere Technik, klammerte sich von unten an das Seil und hangelte sich wie ein Affe vorwärts. Mit

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