bewegungslos oben im Zimmer 12 a. Aber er schlief nicht. Er war auch nicht sehr müde. Er war tot.
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Tod [toːd] Zustand eines Organismus nach dem irreversiblen Ausfall der Lebensfunktionen;
doat =
wörtl.:
»Ackergrenze«, »Feld, das nicht mehr bestellt wird«; duhd = »das Ende«; vergleiche auch d̄uona ; druht, тюп = »über achtzehn Jahre alt«; nach einem dankenswerten Hinweis von H. Heinigen vergleiche auch das Wort t’hoth ,
vermutl.
=
vermutl.
»Abend«, (vermutl. aber nicht haltbar); genauso unsicher scheint die Herleitung von K. Glick: sß-do =
etwa:
»nicht Tag, nicht Nacht, überhaupt nichts« (siehe auch Mord )
Der Tote lag angekleidet auf dem Boden neben dem Bett. Und noch etwas anderes fiel ins Auge. Er war nicht friedlich gestorben. Ganz und gar nicht. Seine starr ins Leere blickenden Augen waren blutunterlaufen, seine Gesichtszüge verzerrt, die Hände verkrampft. Er lag seit gestern hier, und er konnte nicht ewig hier liegen bleiben. Shan und Wong hatten zuerst erwogen, die Leiche irgendwo außerhalb endzulagern, zu vergraben, in einem See zu versenken, in einen hohlen Baum zu stopfen, an wilde Tiere zu verfüttern, wie auch immer. Doch das war ihnen alles zu riskant, denn sie kannten sich in dieser Gegend der Welt kaum aus.
In Chaoyang hätten sie den Weg zum
Sumpf ohne Wiederkehr
gewusst (und, noch viel wichtiger, den Rückweg), aber was das
Murnauer Moos
in dieser (vermutlich selten genutzten)
Beziehung wert war, war schwer zu eruieren. Wohin also mit der Leiche?
»Tiefkühltruhe.«
»In einem Elektrogeschäft eine Tiefkühltruhe kaufen?«
»Warum nicht?«
»Guten Tag, ich möchte eine Tiefkühltruhe kaufen … Ja, und zwar für eine Person … nein, es soll eine Person hineinpassen … Ja, gern, ich probier’s mal selbst … «
»Du hast recht, es ist keine gute Idee. Wenn wir das machen, legen wir eine Spur von hier bis nach Chaoyang.«
»Ich habe im Keller eine Tiefkühltruhe gesehen. Wir fragen Frau Margarethe.«
»Wir leihen eine Tiefkühltruhe aus?«
»Ja, so machen wir es.«
Und so hatten sie die Direktrice gestern Nachmittag um eine Gefriertruhe gebeten. Gestern Morgen hatte Xun Yü noch gelebt. Sie hatten einiges riskiert, als sie den Allgemeinarzt Dr. Steinhofer aus seiner Wohnung über der Praxis geholt und in die Pension geschleust hatten. Aber Shan, die Lotusblüte, war dafür gewesen, das Wagnis einzugehen. Denn die meisten Kurgäste waren unterwegs in Sachen Luft und Sonne, Frau Schober war in den Roman
Verfängliche Gedanken
vertieft, die Hausangestellten hatten Pause. Und Dr. Steinhofer selbst hatte auch keinen Verdacht geschöpft.
»So, wo ist denn jetzt unser Patient?«
»Treten Sie ein, hier im Bett liegt er.«
»Die Formalien –«
»– erledigen wir später, bitte. Es geht ihm sehr schlecht.«
Xun Yü hatte viel Blut verloren. Er war blass und hielt eine Pistole in der Hand. Irritiert beugte sich Dr. Steinhofer über die Wunde im Brustbereich.
»Wir müssen sofort ins Krankenhaus mit ihm.«
Jetzt sprach der Patient das erste Mal.
»Kein Krankenhaus. Operieren Sie.«
»Hören Sie, das ist eine Schusswunde. So etwas muss ich melden.«
»Nein. Behandeln Sie mich jetzt.«
Dr. Steinhofer wurde sich auf einmal so richtig bewusst, in was für eine brenzlige Lage er da geraten war. Der Schweiß brach ihm aus. Er versuchte, sich auf die Abläufe seines Berufes zu konzentrieren.
»Nehmen Sie die Waffe weg. So kann ich Sie nicht behandeln.«
»Operieren Sie. Jetzt.«
»Und wenn nicht?«
Xun Yü machte eine kleine, eindeutige Bewegung mit der Pistole.
»Schön, ich gebe Ihnen ein schmerzstillendes Medikament.«
»Kein Medikament.«
»Das halten Sie nicht durch.«
Xun Yü lachte ein kurzes, bitteres Lachen.
Dr. Steinhofer war eigentlich schon pensioniert. Er hatte seine allgemeinmedizinische Praxis schon verkauft, sein Nachfolger sollte in den nächsten Wochen anfangen. Die beiden jungen Chinesen oder Thailänder oder Koreaner oder was auch immer hatten zunächst so hilflos gewirkt. Sie hatten nur ein paar Brocken Deutsch gesprochen und dazu wilde und verzweifelte Zeichen gemacht. Schließlich war er mitgegangen. Jetzt sprachen sie plötzlich fließend deutsch. Und er starrte in den Lauf einer Pistole. Er drehte den Patienten leicht zur Seite, konnte aber keine Ausschuss-Stelle finden. Die Kugel musste sich noch im Körper befinden, er schätzte,