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Hochsaison. Alpenkrimi

Titel: Hochsaison. Alpenkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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heiseren Schmatzern spritzte immer wieder
Gischt hoch und benetzte seinen Umhang aus abwechselnd schwarz und weiß aneinandergenähten Biberfellen. Schließlich war auch er mitsamt seiner wertvollen Last drüben angelangt und ließ sich dort erschöpft auf die Erde fallen. Dann kam das Mädchen mit dem Schakalsgesicht. Wenn man sie necken wollte, brauchte man bloß den weinerlichen Singsang der Goldschakale nachzuahmen: Woiiiiiiii-kiki-woiiiiiiiiii-ki. Im Augenblick hatte niemand Sinn für solche Scherze, die Männer drüben mahnten zur Eile, das Mädchen wollte zum Seil greifen. Doch plötzlich hörte die Frau mit dem Lederhut hinter sich allzu bekanntes Gebrüll. Das Jagdgebrüll von Säbelzahntigern. Sie erstarrte. Sie wagte nicht, sich umzublicken.

8
    Sozusagen zehntausend Jahre später, gar nicht so weit von der Höllentalklamm entfernt, fünf Speerwürfe vielleicht, las man in der Morgenzeitung die Schlagzeile
    SCHÜSSE IM OLYMPIAORT !
    Olympiade gefährdet?
    Die Überschriften der anderen Blätter gingen in die gleiche Richtung: WILDWEST IN WERDENFELS (mit Fragezeichen), ZOFF IM ZUGSPITZDORF (mit zwei Rufzeichen), DÜSTERES DÄNENDRAMA (ohne alles). Es war ein herrlich klarer Wintermorgen, viele juckte es gleich nach dem Aufwachen in den Fingern, den Beruf des Schlossermeisters oder Oberstudienrats für Latein und Griechisch mal für ein paar Stunden ruhen zu lassen, sich die Bretter anzuschnallen und hineinzugleiten in die Loipen, die Pisten abwärtszuwedeln, rotbackig und modisch bebrillt, Tal um Tal zu durchmessen mit frischem Mute, schwer keuchend, doch glücklich, sich in die angeblich unberührte Natur zu schmiegen. Doch im schlossermeistrigen Fall musste das eiserne Grabkreuz für den alten Lackermeyer Korbinian geschmiedet werden, im anderen, oberstudienrätlichen casus paedagogi musste der Klasse 10 a des Gymnasiums das hexametrische Reimschema der Odyssee eingetrichtert werden, x̄ x x x̄ x x –
Sage mir, Muse, die Taten des vielgewanderten Mannes!
– aber so ein Hexameter hat ja auch etwas vom Langlaufen.
    So setzte sich der Großteil der Werdenfelser Bevölkerung kleinäugig und schlaftrunken an den Frühstückstisch, griff nach der Zeitung und las quellenlose Spekulationen wie diese, dass es womöglich die verirrte Gewehrkugel eines unachtsamen Jägers gewesen sein könnte, die den Dänen aus dem Rennen geworfen hatte. In einem Kommentar wurde sogar ein politischer Hintergrund angedeutet. Von der späten Rache eines Fundamentalisten an einem Vertreter des Landes der Karikaturenzeichner war da die Rede. Und viele schüttelten beim Frühstück besorgt den Kopf.
    »Ein Attentat? Bei uns? Und ausgerechnet beim Neujahrsspringen! Das darf doch nicht wahr sein.«
     
    Nur im Frühstücksraum der Pension Alpenrose, einer stattlichen Villa am Rande des Kurorts, wurden die Nachrichten schweigend aufgenommen. Die beiden unfrisierten Gestalten mit dem pechschwarzen Haar, die dort in einer Nische saßen und Eier köpften, waren unauffällig gekleidet, ihre asiatischen Wurzeln waren unübersehbar. Sie unterhielten sich leise, ein Sinologe hätte auf Südkantonesisch oder Nordkoreanisch getippt, ein Professor Higgins hätte zudem noch den kehligen Min-Yue-Dialekt herausgehört, den man in der Gegend um Chaoyang spricht. Die Frau warf jetzt die Zeitung auf den Tisch.
    »Das hat uns gerade noch gefehlt«, zischte sie, doch man sah ihr die Verärgerung überhaupt nicht an. Man sah ihr auch nicht an, dass sie sich beherrschte.
    »Was ist los?«, fragte der Mann.
    »In der Zeitung wird schon spekuliert. Es gibt eine vage Vermutung, dass der dänische Skispringer beschossen worden sein könnte.«
    Der Mann las den Artikel und sagte:
    »Jetzt kommt wahrscheinlich irgendein Provinztölpel und ermittelt so lange, bis er was findet.«
    »Auch dieses Problem werden wir lösen.«
    »Das hoffe ich.«
    Der Frühstücksraum füllte sich langsam mit den anderen Pensionsgästen, alle um die Sechzigsiebzigachtzig, angetan mit der neuesten Wintersportmode und bereit für Frischluft und Hüttengaudi. Die meisten waren paarweise da: Männe lud auf, Frauchen wählte den Tisch aus, im Radio dudelte etwas Oberkrainerisches dazu. Die Augen der beiden Chaoyanger leuchteten kohlschwarz, pechschwarz, ebenholzschwarz, Schweinfurter grünschwarz, vielleicht auch jadeschwarz, unergründlich fernöstlich eben.
    Die Frau hieß Shan, was Lotusblüte bedeutete. Der Mann hieß Wong, was viel bedeuten konnte. Shan und Wong hatten sich, zusammen

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