Hochsaison. Alpenkrimi
mit einem dritten Mann aus Chaoyang, vor ein paar Tagen hier eingemietet, weil sie in der Pension Alpenrose die geeignete Operationsbasis für ihre außergewöhnlichen Pläne gefunden hatten. Es war ein frei stehendes Gebäude, das auf einem kleinen Hügel etwas außerhalb des Kurortes lag. Der Zufahrtsweg war breit, ein zusätzlicher Weg führte um das Haus herum zum rückwärtigen Hof. Dort konnte man mit dem Auto parken und ins Haus gelangen, ohne dass man von der Straße und von den Fenstern und Balkonen des Hauses aus gesehen werden konnte. Vom Parkplatz ging noch ein zusätzlicher Fluchtweg ab, notfalls, quer durch die Wiese, hin zu einer anderen Straße. Auch mit dem Zimmer selbst konnten Shan und Wong mehr als zufrieden sein. Es lag im ersten Stock, hatte drei große Fenster, die einen Blick auf alle vorderen Zufahrts- und Zugangswege garantierten. Die Hausgäste waren württembergische Ministerialsekretäre und mecklenburgische Ex-Pastoren, sie schienen unbeweglich und schwerhörig, wohl nur interessiert an ihrem eigenen geregelten Tagesablauf, nicht an den irgendwie maoistisch aussehenden Feriengästen.
Die Direktrice der Pension Alpenrose, Frau Margarethe Schober, las an der Rezeption meist Heftchenromane mit Titeln wie
Gefährliches Verlangen
und
Wilde Gier
. Sie war wohl auch für die gewisse nachlässige Eleganz der Pension zuständig. Das Gästebuch und die Anmeldebögen wurden lax geführt, die Kontrolle der Personalausweise war nicht der Rede wert. Die Pension Alpenrose war ein Eldorado für jeden, der nicht ganz Koscheres im Sinn hatte.
Margarethe Schober hatte den gut gefälschten Pass von Shan genau studiert, so genau, dass Shan und Wong ein paar kleine Schweißperlen auf die Stirn traten.
»Aha, Steinbock«, hatte Margarethe Schober schließlich so wissend und anzüglich gesagt, dass Wongs Hand unwillkürlich in Richtung Gürtel zuckte, dorthin, wo sein Ka-to steckte, für alle Fälle. Wong war ein vorsichtiger Mensch. In seinem Koffer steckten noch zwei oder drei, sicherheitshalber. So ein Ka-to hätte man für ein Austernmesser halten können, es war jedoch ein kleines, scharfes Stoßrapier, ein unauffälliges Stilett, ein
Gnadgott
, dessen Klinge genau bis in die Mitte des Herzens reichte, vorausgesetzt, man wusste den Weg dorthin: rechts um das Brustbein herum (vom Mörder aus gesehen), zwischen der dritten und vierten Rippe hindurch. Wong wusste den Weg.
Die drei hatten sich vor ein paar Tagen eingemietet und sich als malaiische Geschäftsleute auf Skiurlaub ausgegeben. Sie hätten sich auch als taiwanesische Austauschstudenten oder birmanische Hopfenhändler ausgeben können, sie hatten für so ziemlich alles Pässe. Sie präsentierten ein paar fernöstliche Klischees, wie zum Beispiel die Dreiviertelverbeugung in Verbindung mit den zu einer kleinen Blautanne geformten Händen mit abgespreizten Daumen, was nirgends auf der Welt der Brauch ist – lediglich der Mitteleuropäer meint, dass sich so sämtliche Inder, Chinesen und Japaner begrüßen. Auch Frau
Margarethe Schober machte inzwischen schon die dreiviertelte Blautanne, und hielt dabei sogar ihre Nase mit beiden Daumen fest eingezwickt.
»Phmecktph?«, fragte sie Shan und Wong jetzt am Frühstückstisch.
Die beiden nickten eifrig. Frau Schober richtete sich wieder auf.
»Wie geht es Ihnen?«, sagte sie so akzentuiert wie eine Lehrerin im Volkshochschul-Kurs
Deutsch für Außerirdische
II .
»Danke, es gebricht uns an nichts«, antworteten Shan und Wong.
Shan und Wong beherrschten die Sprache von Karl Marx und Rainer Maria Rilke perfekt, denn beide waren damals in die DDR (wir erinnern uns) eingeladen worden und hatten jahrelang in Zeitz gelebt. Deshalb sächselte ihr Chaoyanger Min-Yue leicht. Das von Shan sächselte stärker, das von Wong weniger (so hätte man die beiden im Dunkeln auseinanderhalten können), und in ebendiesem Zeitzer Akzent sagte Wong jetzt zu Frau Margarethe Schober:
»Heute ist herrliches Wetter. Wir besprechen gerade, ob wir auf die verschneite Stepbergalm gehen –«
»– oder rund um den schattigen Eibsee«, fügte Shan hinzu.
Die Wirtin ließ sich dadurch nicht abwimmeln. Sie machte nochmals eine Verbeugung.
»Wo ist der nette junge Mann?«, fragte sie, als sie sich wieder aufgerichtet hatte. »Der immer mit Ihnen zusammen war? Der Dritte im Bunde?«
»Er schläft noch«, sagte Shan.
»Er ist sehr müde«, sagte Wong.
Der nette junge Mann, der Dritte im Bunde, lag still und
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