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Hochsaison. Alpenkrimi

Titel: Hochsaison. Alpenkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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worden war und jetzt in die andere Richtung zeigte, bergab, ins herrliche Loisachtal. Das Gefährt begann langsam nach unten zu rutschen. Sie blickte nach vorn, durch das kleine glaslose Fenster, das einen Blick auf den Kutschbock zuließ. Dort saß zu ihrer Überraschung ein Mann in weißem Skianzug, der den Schlitten jetzt an der Lenkgabel gepackt hatte. Er hatte seine ebenfalls weiße Skimütze übers Gesicht gezogen, eine Skimütze mit Sehschlitzen, die auch dem fröhlichsten Skihaserl immer etwas von einem verwegenen Bankräuber gibt. Der Schlittenlenker war vermutlich ein Adventure Scout von der Agentur IMPOSSIBLE , der die Requisiten wieder zusammenräumte.
    »Geht es den anderen gut?«, schrie Ilse durch die kleine Öffnung nach draußen, worauf der Mann kurz nach hinten zu ihr blickte. Er nickte wohl kurz, gab aber keine Antwort. Eine scharfe Kurve, und Ilse Schmitz wurde wieder zurückgeschleudert, sie knallte hart auf dem Boden auf. Jetzt reichte es ihr langsam. Der Schmerz machte sie wütend. Sie krabbelte wieder nach vorn, hielt sich diesmal an der Unterkante der Öffnung fest.
    »Mann, passen Sie doch auf! Ich habe Sie gefragt, ob es den anderen gutgeht?«
    Der Schlitten hatte jetzt schon einiges an Fahrt aufgenommen,
     der Fahrer lenkte ihn sicher genau den Weg hinunter, den sie heraufgekommen waren.
    »Sind Sie taub? Ich habe Sie gefragt –«
    Sie stockte, denn die Skimütze drehte sich um und versuchte mit einer Hand, den Griff ihrer Finger zu lösen, mit denen sie sich festhielt. Es gab ein Gerangel, ein schweigendes Hin und Her, dann schubste er sie nach hinten, diesmal prallte sie mit dem Kopf an die Rückwand.
    »He, Sie Idiot, halten Sie an! Ich will hier raus!«
    Dieser Mann war kein Adventure Scout. Das war irgendeiner von den Bauerntölpeln hier, der vorhatte, den Schlitten zu klauen. Sie hatte ja schon so einiges gehört von den sonderbaren Bräuchen in der Gegend. Da wurde Maibäume gestohlen, dort wurden Türen hinter Brautpaaren zugemauert. Und die Skimütze da vorne hatte nun eben vor, diesen Hornschlitten zu klauen! Der Dieb hatte vielleicht zu spät bemerkt, dass Ilse drinnen saß. Oder gehörte er doch zur Agentur? Gab es hier wieder Punkte zu sammeln?
     
    Das Gewehr lag auf dem Boden, sie hatte es vorher achtlos in die Sänfte geworfen. Sie kroch hin, soweit das in dem ratternden und schwankenden Schlitten möglich war, und griff nach der Waffe.
    »Hey, sieh mal her, du Knallkopf! Halt jetzt endlich an.«
    Der Mann blickte kurz um, sah das Gewehr, und schaute recht erschrocken drein, soweit man das durch die Sehschlitze der Mütze erkennen konnte. Für einen professionellen Dieb war er nicht cool genug, dachte sie. Ein dummer Streich von einem Halbwüchsigen?
    »Ich sagte, du sollst anhalten!« Sie schüttelte die Waffe und hoffte, dass er jetzt endlich die Bremse anzog, falls es so etwas bei einem Hornschlitten überhaupt gab. Aber er zog die Bremse nicht. Er tat etwas ganz und gar Überraschendes. Er
ließ den Lenkbügel los, stand seelenruhig vom Kutschbock auf, griff sich zwei senfgelbe Rucksäcke, die am Boden gelegen hatten, warf sie sich über und sprang mit einem Riesensatz vom Kutschbock herunter, in eine Schneewechte hinein.
    Na toll! Ilse Schmitz saß also jetzt allein in einem ungelenkten Schlitten, der den Berg hinunterraste. Ihr erster Impuls war, es dem Unbekannten nachzutun und seitlich aus der Sänfte zu springen. Sie lugte hinaus und musste erkennen, dass der Schlitten schon längst nicht mehr auf der Straße fuhr, sondern sich seinen Weg über das freie, aber steinige Feld gebahnt hatte. Keine gute Idee, da abzuspringen, denn er hatte schon erhebliches Tempo aufgenommen. Die Öffnung nach vorne zum Kutschbock: zu klein zum Durchkriechen. Mit der Kraft von Wut und Verzweiflung nahm sie das Gewehr und rammte den Kolben in das Holz. Ihr Glück: das war nicht der richtige, der historische Ludwig gewesen, der diese Sänfte hier hatte bauen lassen,
der
hätte schon die stabile bayrische Eiche oder schweres Oberpfälzer Teak verwendet. Diese Rutsche hier war hingegen aus Sperrholz gebaut, und schon der erste Schlag von Ilse Schmitz ließ die Konstruktion einbrechen, noch ein zweiter und dritter Schlag, und die Sperrholzwand war mit ihrem Holzlatein am Ende. Ilse Schmitz zwängte sich, mit dem Gewehrlauf die Lattenreste und Holzsplitter wegstoßend, ins Freie. Ins Freie klingt gut, war es aber hier nicht, denn jetzt erst bemerkte sie, welch enorme Geschwindigkeit das

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