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Hochsaison. Alpenkrimi

Titel: Hochsaison. Alpenkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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Gekicher, achtete aber nicht weiter darauf. Der Herrscher aller Bayern deutete auf den livrierten Wittelsbacher Diener, auf dessen Samtkissen das altertümliche Gewehr lag. O nein! War es also heute ihre Aufgabe, eine Gemse zu schießen? Warum gerade sie? Sie hatte noch nie in ihrem Leben ein Gewehr in der Hand gehabt, nicht einmal auf dem Rummel, aber von einer Managerin erwartete man wohl, genau dieses Problem zu lösen. Blitzschnell, beherzt, nachhaltig. Sie nahm den Stutzen vom Kissen und legte an. Kurzsichtig blinzelte sie durch das Visier. Musste man das Ding nicht erst laden? Der Beppi zitherte sich gerade in den
Liebestod
aus Tristan und Isolde, er mischte die Wagnermusik mit ein paar alpenländischen Liedern:
As Gamsalschiaßn is mei Freid
. Sie tat indessen so, als suche sie den Hang nach der fettesten und unbeweglichsten Gemse ab. Wahrscheinlich waren sie aus Pappe, die Viecher, und irgendwelche Helfer zogen sie mit Seilen hin und her, aber man wusste ja in Bayern nie so genau, was Kulisse war und was echt. Sie hielt das Gewehr fest umklammert, und alle blickten auf sie, die beherzte Kurtisane und Gamsjägerin, die in feinsten Kalbsleder-Stiefeletten auf der Froschbachel-Höhe stand. Doch dann geschah es. Oben am Waldrand erschien ein Pferd. Ach was, ein Pferd: Ein edler Rappe, ein tiefschwarzer Zosse wurde über die Wiese geführt, die Nüstern gebläht, die Flanken schweißnass, den Kopf trotzig zurückgeworfen, und Ludwig der Zweite schritt auf das Ungetüm zu und bestieg es erstaunlich behende. Und als er hoch droben zu Ross saß und den Blick über das Gelände schweifen ließ, als er noch dazu den Mundschutz vollständig abstreifte, da erkannten ihn einige.
    »Das ist doch –«
    »Wie der auf dem Pferd sitzt!«
    »Das kann doch nur –«
    Und er war es: Pierre Brice, der einst den Häuptling der Apachen gegeben hatte, und der jetzt, nicht minder majestätisch, den König verkörperte. So hätte Ludwig der Zweite ausgesehen, wenn er, wie Pierre Brice, achtzig geworden wäre. Einige der über Dreißigjährigen bekamen weiche Knie, darunter Ilse Schmitz. Pierre Brice war auch ihr heißer Jugendschwarm gewesen. Der indianisch veredelte Ludwig winkte ihr nun, und sie trat näher. Obwohl sie um die Inszenierung wusste, gingen ihr seine silberseeblauen Augen durch und durch. Was für ein Blick! Er bedeutete ihr mit einer Geste, zu ihr auf den Rappen zu steigen, sie nahm seine angebotene Hand und schwang sich mithilfe einer schnell bereitgestellten Treppe zu ihm auf das Pferd. Ihr Gewehr immer noch in der Hand, kam sie hinter ihm zu sitzen wie eine bewaffnete Motorradbraut, und er ritt sofort los. Applaus brandete auf, fast neidlos beklatschten alle im Team diese Szene, und juchzend schwang sie das Gewehr über ihrem Kopf. Trotzdem: Sie war noch nie geritten, und nach ein paar Sätzen stieg leichte Übelkeit in ihr auf. Doch gottlob hielt der König am Fuß eines schneebedeckten, steilen Hanges an, schroff ragten die zackigen Felsen in die Höhe und boten ein wenig Schutz vor dem Wind, der aufgekommen war. Er drehte das Pferd bei, griff behutsam nach ihrem Gewehr und führte es in Richtung der Gemsen, deren fleischliche Existenz sie immer mehr bezweifelte.
Pappgemsen!
hatte sie vorher im Gekicher gehört. Aus der Ferne hörte man Zitherklänge, ihr Zeigefinger spannte jetzt den Abzug. Doch es kam nicht zum Schuss.
    Die Hofschranzen des bayrischen Königs drunten sahen die Lawine als Erste, alle fielen sie plötzlich aus der Rolle und deuteten schreiend nach oben. Dass etwas Unvorhergesehenes passiert war bei diesem Adventure Event, etwas katastrophal Unvorhergesehenes, erkannte man daran, dass die livrierten Diener hastig davonliefen, ohne sich um ihren König zu kümmern. Die ganze hochherrschaftliche Gesellschaft stob, alle Etikette
hinter sich lassend, davon, aus der Sturzbahn der Lawine heraus.
     
    Ilse Schmitz und Pierre Brice blickten ebenfalls nach oben. Dort in fünf- oder sechshundert Meter Entfernung hatte sich ein großes Schneebrett gelöst, es glitt beängstigend majestätisch herunter, es rutschte in die Tiefe, direkt auf sie zu. Der Schnee war nass und schmutzig, das sah man von hier aus, und die Schneewand donnerte mannshoch auf Ross und Reiter zu. Winnetouludwig gab dem Rappen die Sporen. Ilse, die sich nicht an den kühnen Reiter geklammert hatte, riss es vom Pferd, und sie knallte aus zwei Meter Höhe auf den hartgefrorenen Boden. Das Gewehr hielt sie fest umklammert, die Lawine war noch

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