Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Hochsaison. Alpenkrimi

Titel: Hochsaison. Alpenkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
Vom Netzwerk:
unheimliche Gefährt aufgenommen hatte, und sie konnte auch sehen, dass unten am Fuße des Berges ein paar prächtige Kiefern standen. Sie packte die Lenkstange und riss sie weit nach links herum. Der Schlitten reagierte, aber viel zu behäbig. Durch den Sänftenaufbau war der Schlitten schwer geworden, er eignete sich nicht besonders für scharfe Kurvenmanöver. Trotzdem hoffte sie, das hinderliche Kiefernensemble umfahren zu können. Noch fünfzig Meter. Abspringen? Zu steinig. Noch dreißig Meter. Sie hoffte, an
der äußersten Kiefer links vorbeizukommen, sie sah auch, dass es ab dort wieder leicht aufwärts ging, da würde sie mit etwas Glück zum Stehen kommen. Noch zwanzig Meter. Sie sah, dass sie die äußere Kiefer nicht mehr schaffte, sie musste durch den Zwischenraum zwischen ihr und ihrer rechten Nachbarin lenken, sie hoffte, dadurch mitten ins Unterholz zu kommen, das sich da dunkel, weich und einladend auftat. Mit etwas Glück würde die Kutsche dort ausgebremst werden. Mit etwas Glück würde sie mit ein paar Kratzern davonkommen. Sie warf sich auf den Boden des Schlittenbocks, und im nächsten Augenblick pfiff das Fuhrwerk zwischen den beiden Bäumen hindurch. Geschafft! Sie hatte noch kurz überlegt, ob sie nicht schnell in die Sänfte zurückkriechen sollte, um beim Aufprall noch besser geschützt zu sein. Jetzt stellte sich heraus, dass das eine schlechte Idee gewesen wäre, denn nach den ersten paar Metern im Wald verfing sich der Aufbau an einigen herausragenden Ästen und löste sich splitternd vom Schlitten. Wittelsbacher Blau verlor sich im Smaragdgrün des Dickichts, hoch wurde die Sänfte in die Luft geschleudert, krachend schlug sie auf, ein humanoider Inhalt hätte da nicht viel Überlebenschancen gehabt. Der Schlitten raste weiter. Er musste jetzt doch bald irgendwo im Gehölz stecken bleiben, er konnte doch nicht ewig so weiterirren! Doch so viel Gehölz war da nicht mehr, der Schlitten bremste nicht ab, er rutschte weiter, Ilse schoss wieder hinaus aufs freie Feld und schrie laut auf vor Schrecken. Sie griff an die Stange und lenkte auf die andere, auf die rechte Seite. Ohne den schweren Aufbau war das Vehikel wesentlich leichter zu bewegen. Es ging zwar jetzt steiler bergab, aber die Wiese war hier weitgehend schneefrei, das Gras bremste. Wenn der Abhang nicht noch steiler würde, konnte sie den Hornschlitten bald zum Stehen bringen. Aber was war dort vorn! In hundert Metern brach die Wiese scharf ab, dahinter war der blaue Himmel zu sehen. Sie steuerte direkt auf einen Abgrund zu.

31
    Im heißen Sand der Wüste standen zwei Männer auf einem kleinen Hügel. Der eine hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben und schwieg, der andere redete auf ihn ein, während er mit beiden Händen eine Schanze formte, die weit in die Wüste hinausreichte. Ein dritter Mann stand etwas abseits und suchte mit einem Fernglas den Horizont ab.
     
    »Passen Sie auf, Doctor McGrey«, sagte Kalim al-Hasid, »ich stelle mir das folgendermaßen vor.«
    »Ich bin ganz Ohr«, sagte Dr. McGrey und steckte die Hände noch tiefer in die Hosentaschen.
    »Wenn die Olympischen Winterspiele 2022 in Dubai stattfinden, dann wird es die bombastischste Eröffnungsfeier geben, die man je gesehen hat. Das erste Mal in der Geschichte der Winterspiele wird ein Araber springen, vielleicht sogar ein Dubaier –«
    »– der vermutlich jetzt noch gar nicht geboren ist?«
    »So ähnlich. Zweihunderttausend Zuschauer feuern ihn an. Ich nenne ihn mal Kurad. Er nimmt Anlauf, unser Kurad, das Kreischen der Menge nimmt noch nie gehörte Ausmaße an. Er springt ab und fliegt. Er fliegt auf die Sonne zu, er steigt und steigt. Und mancher denkt sich: Kann ein Mensch ewig so weiterfliegen? Gelten die Gesetze der Schwerkraft denn nicht für diesen Araber? Muss sich die Flugkurve nicht auch wieder nach unten neigen? Doch Kurad fliegt weiter, er wird immer kleiner,
und verschwindet als winziger Punkt aus den Augen der zweihunderttausend Zuschauer.«
    »Hm«, sagte Dr. McGrey, »haben Sie schon irgendeine Idee, wie ihr Kurad das schaffen soll?«
    »Das lassen Sie mal meine Sorge sein. Das ist mein kleines Geheimnis, das werde ich Ihnen auch nicht verraten.«
    »Vielleicht ist es ein Propeller, den er sich auf den Rücken schnallt?«
    »Viel zu auffällig.«
    »Ein Hubschrauber, der in großer Höhe fliegt und diesen Kurad an einem durchsichtigen Seil hält?«
    »Auch nicht, Dr. McGrey.«
    »Ein Gebläse von unten?«
    »Ich werde es Ihnen

Weitere Kostenlose Bücher