Hochsaison. Alpenkrimi
Sie hängen sich ans Telefon und prüfen nochmals die These bezüglich des ›aus dem Dienst entlassenen Polizisten‹. Viel Glück. Und auf geht’s!«
Alle machten sich an die Arbeit. Einer musste natürlich Dienst im Revier schieben. Es war Polizeiobermeister Ostler. Auf seinem Schreibtisch lagen zwei Papierstöße: ein riesiger, der den Fall des Marders betraf, und ein wesentlich kleinerer, für alle anderen Vorgänge im Kurort. Jemand klingelte. Er öffnete. Eine Frau mittleren Alters trat ein. Er kannte sie gut, es war die Nichte des alten Dr. Steinhofer, des pensionierten Arztes, der nach wie vor verschwunden war.
»Es tut mir leid, ich habe noch keine neuen Erkenntnisse.«
»Sie haben wohl auch nicht weitergeforscht.«
»Das haben wir, aber alle Indizien sprechen dafür, dass er in einem mittelamerikanischen Staat untergetaucht ist. Glauben Sie mir, wir haben schon öfters solche Fälle gehabt. Er hat sein Konto aufgelöst, hat sein Geld auf eine andere Bank überwiesen. Er hat in einem Reisebüro einen Flug nach Mittelamerika gebucht, er hat zwei Tickets gekauft, er hat seinen Pass und alle Papiere mitgenommen, außerdem hat er in einer Buchhandlung
ein Spanisch-Lexikon erworben. Und vor allem: die Postkarte aus Lima.«
Die Nichte verabschiedete sich seufzend. Franz Ostler legte das Formular, auf dem diese Informationen standen, wieder zurück auf den kleinen Stapel mit den Vorgängen, die nicht mit dem Fall Marder zu tun hatten. Karl Swoboda hatte ganze Arbeit geleistet.
41
Hubertus Jennerwein war auf dem Weg zum Klinikum, als sein Mobiltelefon klingelte.
»Hallo, Becker, schön, dass Sie mich anrufen.«
»Um Ihre Frage von gestern zu beantworten, Kommissar: Ja, mit einem Lasergewehr kann man durchaus jemanden schmerzhaft beschießen. Es hängt ganz von der Wellenlänge des Strahls ab. Bei geringer Laserenergie, wie sie beispielsweise in CD -Playern Anwendung findet, würde der Beschossene überhaupt nichts spüren. Wenn man aber die thermische Leistung des Strahls so erhöht, dass organische Molekülbindungen zerstört werden, dann wird der Strahl sicherlich schmerzhaft sein.«
»Wie sieht so ein Lasergewehr aus?«
»Jedenfalls nicht wie ein herkömmliches Gewehr. Um einen derart leistungsstarken Lichtstrahl zu generieren, ist schon ein bisschen Platz nötig. Die Maschine, die man hier bräuchte, wäre, mit allem Drum und Dran, etwa so groß wie Ihr Schreibtisch.«
»Kann unser Schütze beim Neujahrsspringen irgendwo in der Menge gestanden haben –«
»– ohne aufzufallen? Das halte ich für ausgeschlossen. Der Stromgenerator ist ganz schön laut. Ich für meinen Teil würde ein Hotelzimmer mieten, irgendwo im Umkreis von zwei Kilometer Entfernung. Ich würde einen Festkörperlaser nehmen, ihn auf den Balkon stellen, den Strahl generieren und ihn in Richtung des Geländes schicken. Dann gehe ich hinunter in
die Menschenmenge, habe ein kleines, unauffälliges Kästchen bei mir, fange den Strahl damit auf und leite ihn auf einen dänischen Skispringer um.«
»Brauche ich einen Helfer für das alles?«
»Ich denke, dass es auch alleine geht.«
»Wo bekomme ich solch einen Apparat her?«
»Im Kaufhaus kann ich ihn nicht kaufen. Aber wenn man sich auskennt, kann man sich so ein Ding selbst zusammenbasteln.«
Jennerwein hatte einen Block herausgezogen und sich die Daten notiert, die für ihn interessant waren: Ein Hotel im Umkreis von zwei Kilometern, ein Balkon mit Blick auf das Schanzengelände.
»Becker, Sie sprachen von einem kleinen, unauffälligen Kästchen. Wie könnte das aussehen?«
»Wie eine Handtasche. Wie eine zusammengerollte Zeitung. Wie ein dicker Band mit Hölderlin-Gedichten. Was der Skisprung-Fan eben so dabeihat.«
»Wie ein Fotoapparat?«
»Perfekt! Mit einem solchen kann ich den Zielvorgang als Fotografieren tarnen.«
»Danke, Becker, Sie haben mir sehr geholfen.«
Jennerwein schaltete das Mobiltelefon aus und ging nachdenklich weiter. Das Klinikum war inzwischen schon in Sicht gekommen. Er hatte eigentlich vor, dem zuständigen Arzt bezüglich Sørensen ein paar Fragen zu stellen. Nun spielte er mit dem Gedanken, dass er bei dieser Gelegenheit einfach in die neurologische oder gar psychiatrische Abteilung spazieren und dort nach den Behandlungschancen von temporärer Akinetopsie fragen könnte, einfach so, ganz unverbindlich, diskret und ohne Gefahr für die weitere berufliche Zukunft. Aber war das nicht gleichzeitig albern
und
verdächtig in einem?
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