Hochsaison. Alpenkrimi
Marias Plan war einfach, aber verschlagen. Sie wollte, nur um zu sehen, ob das möglich war, an ein paar Schriftproben kommen, versuchsweise, zur Gaudi, unkonventionell und unter Umgehung (oder sehr großzügiger Auslegung) der Dienstvorschrift ›Beweismittelsicherung im öffentlichen Bereich‹.
»Ja, jetzt geht sie dann bald wieder los, die Saison«, sagte ein Schnauzbärtiger, den alle vorher mit Sepp angeredet hatten.
Der Sepp
, dachte Maria, das wäre auch ein schöner Name für den
Marder
gewesen.
»Die Gemeindewerke haben extra deswegen schon ein paar Straßen aufgerissen.«
»Ja, Sepp, zu dir auf den Schachen wird dann wahrscheinlich keiner mehr gehen.«
Aha, der Sepp hatte also oben auf dem Schachen zu tun. Aufgemerkt, Maria, vielleicht ist das eine Spur.
»Aber im Gegenteil!«, sagte der Sepp. »An die Stelle, wo die Lawine abgegangen ist, zieht es die Touristen omnibusweise hin, das kann ich euch sagen. Seit dem Unfall hat sich der Umsatz
deutlich gesteigert. Das japanische Fernsehen war schon da, das amerikanische, das kanadische. Und alle fragen, ob es wieder einmal ein Event mit dem König Ludwig gibt.«
»Ja, wenn das so ist, dass der Umsatz nach solchen Unfällen steigt, dann hat das Fremdenverkehrsamt vielleicht selbst die Hand im Spiel?«, sagte die Frau am Tisch. »Zutrauen würde ich es ihnen. Die tun doch alles, wenn nur ein paar Geldige herkommen.«
Das dröhnende Gelächter am Stehtisch ließ alle im Café aufhorchen. Die Schlange der eiligen Semmelkäufer am Tresen drehte sich kollektiv um, einige lachten mit, einige mochten solche Späße nicht: Selbstinszenierte Unfälle, pfui. In der Bäckerei gab es heute – nein, keine Lawinensemmeln – aber, natürlich, ganz aktuell, König-Ludwig-Semmeln. Vom Aussehen her waren es ordinäre Maurerweckerl, das Höfische kam von den essbaren Blüten, mit denen sie bestreut waren: Veilchen, Malve, Ochsenzunge und Wegwarte bildeten zusammen die Farben der Wittelsbacher. Sie kosteten aber trotzdem bloß ein Zehnerl mehr.
Das dröhnende Gelächter über das Fremdenverkehrsamt, das den Unfall in Eigenregie inszeniert haben sollte, hielt immer noch an, als sich eine dünne Frau mit Rucksack dem Tisch näherte.
»Entschuldigung, darf ich Sie mal kurz stören«, sagte die Frau. »Sie sehen aus, als wären Sie von hier. Ich will zu dieser berühmten Skischanze, ich muss mir die unbedingt ansehen, ich habe das alles bisher bloß im Fernsehen bewundern können.«
Einer der Rotgesichtigen deutete schon hinaus aus dem Fenster, teilte die Luft mit richtungsweisenden Gesten, da ginge es
hin, und dann rechts herum, doch die Frau plauderte einfach weiter.
»Und das Eisstadion will ich mir auch ansehen. Wo liegt das? Liegt das auf dem Weg? Und dann habe ich gelesen, dass Sie hier im Ort so einen schönen Friedhof haben. Wo ist denn der?«
»Haben das Fräulein ein Blatt Papier da?«
Sie hatte eines da. Sie ließ sich eine Skizze zeichnen und beschriften, sie ließ sich noch das Hallenbad einzeichnen, und die kleine Straße hinter dem Hallenbad aufschreiben, und am Ende hatte sie schon einmal Schriftproben von fünf Ureinheimischen, vier Männern und einer Frau. Nur einer am Tisch hatte sich geziert, er hatte bisher noch gar nichts gezeichnet und geschrieben, speichelprobenverweigerisch stand er da, am Tisch, dumpf vor sich hin brütend, verdächtig sah er aus. Den musste sie sich merken. Sie prägte sich sein Aussehen ein, seinen Namen –
»Hallo, Maria!« Sie drehte sich um. Ein Mann, der etwa in ihrem Alter war, stand vor ihr. Er hatte sich gerade eine kleine Tüte mit zwei Semmeln gekauft, die Single-Tüte, die ein Zehnerl weniger kostete. Der Mann kam ihr entfernt bekannt vor, ein Schatten aus der Vergangenheit. Jedenfalls störte er sie jetzt gerade erheblich bei ihren verdeckten Feldstudien.
»Du kennst mich nicht mehr, oder?« Er kam auf sie zu. Die Einheimischen am Tisch betrachteten Maria dabei misstrauisch. Eine, die sich gerade als preußische Spontan-Touristin ausgegeben hatte, wurde jetzt von einem Einheimischen angesprochen? Öha, was war denn das?
»Wir haben zusammen studiert. Ist lange her, du wirst dich nicht mehr erinnern. Systemische Entwicklungspsychologie bei Professor Litzel. Wahrnehmungsstörungen IV bei Rosenberger-Bosenzky. Dann noch Forensische Psychologie bei Professor Karlstadt? Nein? Nicht?«
»Ja, ich erinnere mich dunkel«, sagte Maria. »Wir haben einige Vorlesungen zusammen besucht.«
»Und was machst du
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