Hochzeit auf Raten
Nebel.
»Skandalös, wie es hier aussieht!« sagte sie.
Ich schwang mich gähnend auf den Bettrand und riskierte einen Blick in das Zimmerinnere. Gott ja, Karthago mochte nicht trostloser ausgesehen haben, als es die Römer zerstört hatten.
Mein Hemd, voll von Lippenstiftspuren, ruhte auf dem Teppich, direkt unter dem Lüster, von dem die Krawatte baumelte. Die Hose wand sich respektlos um die Büste eines Generals, der auf der Kommode stand. Zum Glück wenigstens noch stand! Der Rock diente als Unterlage für meine Schuhe, die — streng ausgerichtet — ein geradezu aufreizendes Bild der Korrektheit boten.
Wie eine Sturzflut drang die Erinnerung an die vergangene Nacht in mein Bewußtsein.
»Stellen Sie sich vor, Frau Oberst, ich habe mich verheiratet«, sagte ich dumpf.
Sie bediente sich neuerlich des Lorgnons.
»Wenn Sie in einer halben Stunde nicht nüchtern sind«, erklärte sie, »lasse ich Sie von der Polizei zur Ausnüchterung abholen.«
Rumms! Draußen war sie.
Auf unsicheren Beinen strebte ich dem Fenster zu, um meinen Kopf ein wenig ins Freie zu halten. Die kalte Novemberluft zerstreute die letzten milden Gehirnnebel.
Es stand außer Zweifel: ich hatte gestern, nein heute, meine Freiheit vertrunken. Ich wollte, als man uns aus der letzten Bar hinauswarf, auf dem direkten Weg zum Standesamt. Ich hatte ... Ich hatte . .. Was half es, daß jedes Gericht Volltrunkenheit als Milderungsgrund anerkennt. Für meinen Fall war eine Institution zuständig, die nicht so großzügig vorzugehen pflegt.
Ich begann im Zimmer auf und ab zu wandern. Wehmütig betrachtete ich die wurmstichige Standuhr, den mottenzerfressenen Biedermeiersessel, die gräßlichen Gipsköpfe längst dahingegangener Heerführer, das Bild des alten Kaisers, die verkrüppelten Topfpflanzen, die zerschlissenen Tapeten...
Das Wandern bekam mir sichtlich gut.
Ich faßte den Entschluß, in Zukunft mehr Bewegung zu machen. Etwa mit dem Tennisschläger um sechs Uhr früh auf dem Tennisplatz. Seit drei Jahren nahm ich mir jeden Winter vor, im Frühjahr wieder damit zu beginnen, um im Herbst festzustellen, daß ich über eine Garnitur neuer Bälle nicht hinausgekommen war. Auch Bergwanderungen mit Aufbruch im Morgengrauen wären nicht zu verachten. Wie schön ein Morgen sein kann, hatte ich wiederholt erlebt, wenn ich spät nachts nach Hause gekommen war.
In Zukunft! Ja, in Zukunft!
Und warum eigentlich nicht? Warum nicht den Weg gehen, den fast alle anderen auch gehen und seit jeher gegangen sind?
Nachdenklich bemühte ich mich, eine abgerissene Tapete mit dem Rest eines von gestern übriggebliebenen Puddings wieder anzukleben.
Isabell war eine reizvolle Person. Sie würde eine passable Frau abgeben. Was ihre häuslichen Qualitäten anlangte, so wären bei straffer männlicher Führung erträgliche Ergebnisse zu erwarten. Außerdem: ein Mann braucht eine Frau und ein Heim. Daran war nicht zu rütteln. Man konnte es höchstens hinausschieben. Oder sollte ich bis ins hohe Greisenalter armselige Mittagsküchen, muffige Untermietzimmer und zweifelhafte Lokale bevölkern? Sollte ich ein Leben lang auf saubere Wäsche, gestopfte Strümpfe und geputzte Schuhe verzichten? Gar nicht von den Kindern zu reden, wenn auch in diesem Fall — na ja! Auch das war auf diese Art und Weise unkomplizierter. Vor allem war es moralischer. Und die Moral war ein weiteres Ding, auf das man mit zunehmendem Alter angewiesen ist.
Ich weiß nicht, woran es lag, aber die Tapete ringelte sich immer wieder von neuem auf. Da auch der Pudding zu Ende war, gab ich es auf.
Fast vergnügt begann ich meine Wanderung von neuem.
Ich vertiefte mich in das Studium der oberstlichen Familienfotos, die verblichen in schadhaften Goldrahmen überall herumhingen. Was war doch der Herr Oberst für ein fescher junger Leutnant gewesen. Selbst als alter Offizier, knapp vor seinem Tod und seiner deshalb unterbliebenen Beförderung zum General, präsentierte er sich noch als stattlicher Mann. Und die Frau Oberst? Was war aus der stupsnasigen Frau Oberst mit den sinnlichen Kulleraugen geworden?
Beklommen hielt ich inne. Mir fielen meine Freunde ein, die alle junge, hübsche Mädchen geheiratet hatten und nun im Begriff standen, nur mehr einen schwachen Abglanz von dem zu erhalten, was sie einst so frohen Mutes zum Standesamt geführt hatten.
Immerhin: man könnte sich damit abfinden. Auch der Mann wird nicht jugendlicher, obwohl beim Mann Alter und Schönheit zwei Begriffe sind, die
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