Hochzeit des Lichts (German Edition)
verschwendet und mit ihr zugleich jene seltsame Lebensgier, die stets eine Folge solcher zukunftslosen Fülle ist. Alles, was man hier tut, lässt Widerwillen gegen alles Beständige und Gleichgültigkeit gegen alles Zukünftige erkennen. Man hat es eilig mit dem Leben; und wenn hier je eine Kunst entstehen sollte, so würde sie jenem Hass gegen die Dauer gehorchen, der die Dorier antrieb, ihre erste Säule aus Holz zu schnitzen. Und dennoch kann man in dem heftigen und erbitterten Antlitz dieses Volkes sowohl Maß wie Übertreibung erkennen, wie auch in diesem erbarmungslosen Sommerhimmel, dem man jede Wahrheit ins Gesicht sagen darf und in den keine trügerische Gottheit die Zeichen der Hoffnung oder der Erlösung geschrieben hat. Zwischen diesem Himmel und den zu ihm aufblickenden Gesichtern ist kein Platz für eine Mythologie, eine Literatur, eine Ethik oder eine Religion, sondern nur für Steine, Leiber und Sterne und für Wahrheiten, die sich mit Händen greifen lassen.
Sich einem Lande verbunden zu fühlen, einige Menschen zu lieben und zu wissen, dass es einen Ort gibt, wo das Herz seinen Frieden findet – lauter Gewissheiten, die viel für das Leben eines Menschen bedeuten, obschon man sich damit zweifellos nicht begnügen kann. Und doch sehnt sich der Mensch zu gewissen Zeiten mit allen Fibern nach dieser Heimat seiner Seele. »Ja, dorthin müssen wir zurückkehren.« Und ist es denn so erstaunlich, dass man diese Vereinigung, die Plotin ersehnte, hier auf Erden findet? Hier verkünden die Sonne und das Meer diese Einheit. Dem Herzen offenbart sie sich mit jenem fleischlichen Beigeschmack, der ihre Bitterkeit und ihre Größe ausmacht. Ich lerne, dass es kein übermenschliches Glück gibt und keine Ewigkeit außer dem Hinfließen der Tage. Diese lächerlichen und zugleich wesentlichen Gaben und diese so bedingten Wahrheiten sind die Einzigen, die mich erschüttern. Die andern »idealen« Wahrheiten zu begreifen, fehlt es mir an Seele. Ich behaupte nicht, dass man zum Tier werden soll, sondern nur, dass ich am Glück der Engel keinen Geschmack finde. Ich weiß nur dies: dass der Himmel länger dauern wird als ich. Und was soll ich ewig nennen außer den Dingen, die meinen Tod überdauern? Ich rede hier nicht einer billigen Zufriedenheit des Geschöpfes mit seinem Zustand das Wort. Das ist etwas ganz anderes. Es ist nicht immer leicht, ein Mensch zu sein, und erst recht nicht ein reiner Mensch. Rein sein aber heißt, jene Heimat der Seele wiederfinden, wo wir uns dieser Welt verwandt fühlen, wo das Blut in unsern Adern im gleichen Rhythmus pocht wie der glühende Puls der Mittagssonne. Es ist allbekannt, dass man sein Vaterland stets dann erkennt, wenn man es verliert. Das Land, das diejenigen unter seinen Kindern, die allzu sehr unter sich selber leiden, verleugnet, ist ihr eigentliches Geburtsland. Ich möchte nicht brutal oder übertrieben erscheinen: Aber schließlich ist das, was mich in diesem Leben verleugnet, zunächst einmal das, was mich tötet. Alles, was das Leben steigert, vermehrt zugleich seine Sinnlosigkeit. Der algerische Sommer hat mich gelehrt, dass eines noch tragischer als das Leiden ist: das Leben eines glücklichen Menschen. Es kann aber auch den Weg zu einem größeren Leben bedeuten, sofern es uns lehrt, nicht zu mogeln.
In der Tat prahlen viele mit ihrer Liebe zum Leben, um der eigentlichen Liebe auszuweichen. Man will genießen und erleben. Aber das ist der Gesichtspunkt des Geistes. Selten, dass einer die echte Berufung zum Genießer hat. Das Leben eines Menschen vollzieht sich ohne den Beistand seines Geistes, ohne sein Zurückweichen wie sein Vordringen, seine Einsamkeit und seine Gegenwart. Wenn ich sehe, wie diese Leute von Belcourt arbeiten, für Frauen und Kinder sorgen und oft, ohne zu murren, muss ich mich heimlich beinahe schämen. Sicherlich mache ich mir nichts vor. Die Menschen, von denen ich rede, wissen nicht viel von Liebe in ihrem Leben. Aber wenigstens haben sie sich vor nichts gedrückt. Es gibt Worte, deren Sinn ich nie ganz verstanden habe, wie etwa das Wort »Sünde«. Dennoch glaube ich sagen zu können, dass diese Menschen nicht gegen das Leben gesündigt haben. Denn wenn es eine Sünde gegen das Leben gibt, so besteht sie vielleicht nicht so sehr darin, an ihm zu verzweifeln, als darin, auf ein anderes Leben zu hoffen und sich der unerbittlichen Größe dieses Lebens zu entziehen. Diese Leute haben nicht gemogelt. Mit zwanzig Jahren waren sie durch
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