Hochzeit des Lichts (German Edition)
sich bald: die blühenden Oleanderbüsche von Monaco, Genuas Blumenfülle, sein Fischgeruch und die blauen Abende der ligurischen Küste. Dann endlich Pisa, wo Italien sich von den ein wenig ordinären Reizen der Riviera befreit. Aber es verführt immer noch mühelos; und warum sich seiner sinnlichen Grazie nicht vorübergehend hingeben? Was mich betrifft, so bin ich frei von all den Bindungen, aber freilich auch ohne die Freuden des gehetzten Reisenden; denn ein billiges Ferienbillett zwingt mich, eine gewisse Zeit in der Stadt »meiner Wahl« zu verweilen. Mein geduldiges Verlangen: zu lieben und zu verstehen ist unerschöpflich an diesem ersten Abend, an dem ich müde und hungrig in Pisa ankomme und auf der Bahnhofstraße von einem Dutzend donnernder Lautsprecher empfangen werde, die eine fast nur aus jungen Menschen bestehende Menge mit einer Flut von Romanzen überschütten. Ich weiß bereits, worauf ich warte. Nach diesem Trubel kommt jener kostbare Augenblick, wo die Cafés schließen und plötzlich wieder Stille herrscht und ich mich durch die kurzen dunklen Straßen dem Zentrum der Stadt nähere. Der schwarz vergoldete Arno, die gelbgrünen Denkmäler, die leere Stadt – wie soll man diesen geschickten Vorwand, diese plötzliche Ausflucht beschreiben, wodurch Pisa sich um zehn Uhr abends in einen geheimnisvollen Schauplatz aus Stille, Wasser und Steinen verwandelt. »In solcher Nacht wie diese, Jessica!« Auf dieser einzigartigen Szene erscheinen die Götter mit der Stimme von Shakespeares Liebenden … Man muss dem Traum willfahren, wenn er uns willfahren will. Der innere Gesang, den man hier zu hören hofft, verrät mir bereits seine ersten Töne im Dunkel dieser italienischen Nacht. Morgen, erst morgen, wird das Land sich im Frühling enthüllen. Heute Abend aber bin ich ein Gott unter Göttern und rufe mit Lorenzos Stimme nach Jessica, die mit den »heftigen Schritten der Liebe« flieht. Aber Jessica ist nur ein Vorwand; und dieser Liebesüberschwang will mehr als sie. Denn ich weiß: Lorenzo liebt sie nicht so sehr, als er ihr dankbar ist, sie lieben zu dürfen. Aber warum an diesem Abend an Venedigs Liebende denken und Veronas Liebende vergessen, da hier ohnehin nichts an unglückliche Liebende erinnert? Nichts Törichteres auf der Welt, als für eine Liebe zu sterben. Leben sollte man für sie! Und der lebende Lorenzo ist besser als Romeo in der Erde, trotz seines Rosenstrauchs. Soll man nicht tanzen auf diesem Fest der lebendigen Liebe? Und nachmittags schlafen auf dem kurzen Gras der Piazza del Duomo mitten unter den Denkmälern, die man immer noch besichtigen kann, und trinken an den Brunnen der Stadt, deren Wasser ein wenig lau ist, aber so klar, und noch einmal das Gesicht jener Frau wiedersehen, ihre schmale Nase und ihren stolzen Mund, der lachte. Nur muss man begreifen, dass diese Weihen uns für höhere Erleuchtungen vorbereiten: auf jene glitzernden Festzüge der eleusinischen Dionysosanbeter. Der Mensch lernt in der Freude; und auf dem höchsten Gipfel der Trunkenheit wird der Leib bewusst und feiert die heilig-geheimnisvolle Vereinigung, deren Symbol das schwarze Blut ist. Sich selber zu vergessen in dieser rauschhaften Schönheit Italiens, die uns von der Hoffnung befreit und unsere Geschichte vergessen lässt. Zweifache Wahrheit des Leibes und des Augenblicks, Schauspiel der Schönheit, an die man sich klammert wie an das erwartete Glück, das uns verzaubert und zugleich zugrunde geht.
Der abstoßendste Materialismus ist nicht etwa jener, den alle Welt so beurteilt, sondern vielmehr jener andere, der uns tote Ideen als lebende Wirklichkeiten einreden will und unser hartnäckiges, hellsichtiges Interesse an dem, was für immer mit uns sterben muss, ablenken will, auf unfruchtbare Mythen. Ich erinnere mich, dass ich in Florenz in der Santissima Annunziata mich im Kreuzgang der Toten hinreißen ließ durch etwas, das ich für Niedergeschlagenheit hielt, während es nur Zorn war. Es regnete. Ich las die Inschriften auf den Grabsteinen und den Weihetafeln. Hier war einer ein zärtlicher Vater und treuer Gatte gewesen; dort ein anderer ein tüchtiger Kaufmann und zugleich der edelste Gemahl. Eine junge Frau, die alle Tugenden besaß, sprach außerdem französisch si come il nativo. Ein junges Mädchen war die ganze Hoffnung ihrer Angehörigen, ma, la gioia e pellegrina sulla terra. All das ließ mich kühl. Fast alle hatten sich, nach den Inschriften, ergeben ins Sterben geschickt, wie
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