Hochzeit des Lichts (German Edition)
sie zweifellos auch ihre anderen Pflichten erfüllt hatten. Heute waren die Kinder ins Kloster gedrungen und spielten Bockspringen auf den Steinplatten, die die Vorzüge jener Toten verewigen sollten. Es wurde Abend, und ich setzte mich, an eine Säule gelehnt, auf den Boden. Ein Priester hatte mir im Vorbeigehen zugelächelt. In der Kirche spielte leise die Orgel; ihre warmen Töne drangen hin und wieder durch das Geschrei der Kinder. Allein an der Säule war mir zumute wie einem, den man an der Kehle packt und der mit einem letzten Schrei seinen Glauben bekennt. Alles in mir begehrte auf gegen eine solche Schicksalsergebenheit. »Du musst«, sagen die Inschriften. »Nein«, sagte ich, und mein Widerspruch hatte recht. Schritt für Schritt musste ich dieser Freude folgen, die gleichgültig und traumverloren wie ein Pilger über die Erde ging. Zu allem anderen sagte ich Nein – mit all meiner Kraft. Die Grabtafeln lehrten mich, es wäre zwecklos, und das Leben wäre »col sol levante col sol cadente«. Aber auch heute noch sehe ich nicht ein, was die Zwecklosigkeit meinem Widerspruch anhaben könnte; wohl aber fühle ich, um was sie ihn bereichert.
Übrigens wollte ich das gar nicht sagen. Ich möchte eine Wahrheit genauer aussprechen, die ich damals als die Seele meines Widerspruchs empfand, den sie hervorgerufen hatte – eine Wahrheit, die jene kleinen späten Rosen im Kreuzgang von Santa Maria Novella wie jene sonntäglichen Florentinerinnen, ihre freien, von leichtem Stoff bedeckten Brüste und ihre feuchten Lippen einbegriff. An jeder Kirchenecke standen an diesem Sonntagmorgen Tische voll üppiger, frisch besprengter Blumen. Ich empfand dankbar die »Naivität« der Dinge. Blumen und Frauen trugen unbefangen ihr Glück zur Schau; und es schien mir keinen großen Unterschied zu machen, ob man reinen Herzens diese oder jene begehrte. Es geschieht selten, dass ein Mann sich eines reinen Herzens bewusst ist. Er hat in einem solchen Augenblick die Pflicht, das, was ihn so seltsam geläutert hat, Wahrheit zu nennen – auch dann, wenn eben diese Wahrheit andere vielleicht blasphemisch dünken sollte, wie beispielsweise das, was ich an jenem Tage dachte. Ich war nach Fiesole gefahren und hatte meinen Morgen in einem lorbeerduftenden Franziskaner-Kloster zugebracht. Lange Zeit blieb ich in einem kleinen Hof voll roter Blumen, voll Sonne und voll schwarz-gelber Bienen. In einer Ecke stand eine grüne Gießkanne. Ich hatte zuvor die Zellen der Mönche besucht und hatte ihre kleinen, mit einem Totenkopf geschmückten Tische gesehen. Jetzt sprach dieser Garten mir von ihrem Denken und Fühlen. Ich war dann hügelab nach Florenz zurückgekehrt, das mich mit allen seinen Zypressen im Tal erwartete. Diese irdische Pracht, diese Frauen und Blumen schienen mir jene Mönche zu rechtfertigen – vielleicht sogar alle Menschen, die wissen, dass die äußerste Armut stets mit dem Überfluss und Reichtum der Welt wetteifert. Ich empfand das tiefe Gemeinsame in dem Leben dieser von Säulen und Blumen eingeschlossenen Franziskaner und in dem Leben jener jungen Menschen am Padovanistrand in Algier, die das ganze Jahr in der Sonne zubringen. Wenn sie verzichten, so tun sie es für ein größeres, nicht für ein »anderes« Leben. Das scheint mir auch der einzig gültige Sinn von »sich entblößen« zu sein. Bloß und nackt zu sein, bedeutet stets eine körperliche Freiheit und erinnert an jenen Einklang zwischen Hand und Blumen, an jenes verliebte Einvernehmen zwischen der Erde und dem von seinem »Menschtum« befreiten Menschen – und wie gern würde ich mich zu dieser Religion bekennen, wenn sie nicht schon die meine wäre. Nein, dies Bekenntnis ist keine Blasphemie, so wenig wie meine Behauptung, dass das innerliche Lächeln des heiligen Franziskus auf Giottos Bildern diejenigen rechtfertigt, die das Glück lieben. Denn Mythen bedeuten für die Religion dasselbe, was die Poesie für die Wahrheit bedeutet: Es sind lächerliche Masken, hinter denen die Leidenschaft, leben zu wollen, sich versteckt.
Soll ich noch weiter gehen? Dieselben Menschen, die in Fiesole angesichts jener roten Blumen leben, haben in ihrer Zelle den Schädel vor sich, der ihre Meditationen beschäftigt. Florenz vorm Fenster, und auf dem Tisch den Tod. Eine gewisse Beharrlichkeit im Verzweifeln kann Freude erzeugen. Und bei einer gewissen Lebenstemperatur gehen Seele und Blut durcheinander, leben behaglich in Widersprüchen und drehen der Pflicht wie dem
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