Hochzeit des Lichts (German Edition)
Hügel mit ihren Zypressen und Häusern senkten sich aufs Neue. Dann zog der gleiche Wind, der hier die dichten Wolkenfalten öffnete, die über den anderen, sich in der Ferne verlierenden Hügeln wieder zusammen. Dies mächtige Ein- und Ausatmen der Erde vollzog sich im Rhythmus weniger Sekunden und wiederholte in immer weiteren Fernen das strenge aus Stein und Luft gefügte Thema einer weltgewaltigen Fuge. Jedes Mal sank das Thema um einen Ton; und je ferner ich es verfolgte, umso ruhiger wurde ich. Und als mein Herz ans Ende dieser Fernsicht angelangt war, umfasste es mit einem Blick die sämtlichen ins Weite fliehenden Hügelketten und erhob sich aufatmend mit ihnen in einem einzigen Lobgesang der ganzen Erde.
Ich wusste: Millionen Augen haben diese Landschaft gesehen; für mich war sie wie das erste Lächeln des Himmels. Sie brachte mich, in der wahren Bedeutung des Wortes, außer mir. Sie machte mir zur Gewissheit, dass ohne meine Liebe und ohne diesen steinernen Lobgesang alles Übrige sinnlos war. Die Welt ist schön, und außer ihr ist kein Heil. Die große Wahrheit, in der sie mich geduldig unterwies, verkündet, dass der Geist und auch und sogar das Herz nichts sind. Und dass das von der Sonne erhitzte Gestein oder die Zypresse, die der blaue Himmel vergrößert, die einzige Welt eingrenzen, wo »recht haben« einen Sinn hat: die Natur ohne Menschen. Und diese Welt vernichtet mich. Sie trägt mich bis ans Ende. Sie verneint mich ohne Zorn. An diesem Abend, der sich auf das florentinische Land senkte, machte ich mich auf den Weg zu einer Weisheit, wo alles bereits erobert war – wenn mir nicht Tränen in die Augen gestiegen wären und wenn nicht die Poesie mich, den Schluchzenden, die Wahrheit der Welt hätte vergessen lassen.
Man sollte verweilen bei diesem einzigartigen Augenblick, in welchem sich die Dinge die Waage halten, das Empfinden die Moral zurückweist, das Glück aus Hoffnungslosigkeit entspringt und der Geist sich auf den Leib beruft. Wenn es wahr ist, dass jede Wahrheit ihre Bitterkeit kennt, so ist es nicht weniger wahr, dass jedes »Nein« auch sein »Ja« enthält. Jenes Lied hoffnungsloser Liebe, das die Kontemplation anstimmt, kann auch aufs Wirksamste zu Taten aufrufen. Der dem Grab entsteigende Christus des Piero della Francesca hat nicht den Blick eines Menschen. In seinem Gesicht ist nichts von Glück zu sehen – nur eine grimmige, seelenlose Größe, die ich fast wider Willen als einen Entschluss »zu leben« empfinde. Der Weise wie der Tor sagen wenig. Diese Wiederkehr entzückt mich.
Verdanke ich diese Einsicht Italien oder meinem Herzen? Sie ist mir zweifellos dort unten zuteilgeworden. Denn Italien, wie andere bevorzugte Länder, bietet mir ein Schauspiel der Schönheit, in welchem die Menschen trotzdem sterben. Selbst hier muss die Wahrheit verwesen; und was könnte erhebender sein? Selbst wenn es mich nach einer unverweslichen Wahrheit verlangen sollte – was soll ich mit ihr anfangen? Sie passt nicht zu mir. Sie zu lieben wäre unaufrichtig. Wenige begreifen, dass ein Mensch das, was sein Leben ausmacht, niemals aus Verzweiflung aufgibt. Die Entschlüsse hoffnungsloser Verzweiflung öffnen neue Wege ins Leben und bezeugen lediglich eine bebende Anhänglichkeit an die Lehren dieser Erde. Indessen kann es geschehen, dass ein Mensch, dessen Einsicht einen gewissen Grad von Klarheit erreicht hat, fühlt, wie sein Herz sich verschließt, sodass er ohne Auflehnung und ohne Zurückforderungen dem vermeintlichen Inhalt seines bisherigen Lebens, ich meine seiner gärenden Unruhe, den Rücken kehrt. Wenn Rimbaud in Abessinien sein Leben zu Ende lebt, ohne eine einzige Zeile zu schreiben, ist daran weder die Lust an Abenteuern noch der Verzicht aufs Schreiben schuld. »Es ist einmal so«: Das ist der eigentliche Grund; denn bei einer gewissen Bewusstseinsschärfe gibt man schließlich das zu, was wir alle mit aller Kraft, jeder nach seiner Weise, nicht einsehen wollen. Man wird verstehen, dass es sich hier um den Versuch handelt, die Geografie einer gewissen Wüste zu schildern. Aber diese sonderbare Wüste ist nur denjenigen bekannt, die in ihr zu leben vermögen, ohne jemals ihren Durst zu betrügen. Für sie, und nur für sie, sprudeln in ihr die lebendigen Quellwasser des Glücks.
In den Boboligärten hingen riesige goldene Kakifrüchte in Reichweite meiner Hand. Ein zäher Sirup sinterte aus ihrem aufgebrochenen Fleisch. Die sanften Hügel und die saftquellenden Früchte;
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