Hochzeit des Lichts (German Edition)
Glauben den Rücken. Infolgedessen wundert es mich auch nicht mehr, dass eine muntere Hand in Pisa auf einer Mauer ihren eigenartigen Ehrbegriff in dem Satz zusammengefasst hat: Alberto fa l’amore con la mia sorella. Ebenso wenig wundert es mich, dass Italien das Land der Inzeste ist – oder vielmehr und bezeichnenderweise: der eingestandenen Inzeste. Denn der Weg, der von der Schönheit zur Sittenlosigkeit führt, ist voller Windungen, aber seines Ziels gewiss. Die von der Schönheit überwältigte Intelligenz sättigt sich am Nichts. Vor dieser Landschaft, deren Größe einem die Kehle zuschnürt, streicht der Mensch sich selber mit jedem Gedanken aus, sodass er, verneint und überwältigt von so viel niederschmetternden Überzeugungen, im Angesicht dieser Erde zu guter Letzt nichts weiter ist als ein formloser Fleck, der nur eine passive Wahrheit kennt, beziehungsweise nur seine Farbe oder seine Sonne. Eine Landschaft von solcher Reinheit dörrt die Seele aus, die ihre Schönheit nicht erträgt. Dieses Evangelium aus Stein, Himmel und Wasser verkündet, dass nichts aufersteht. Von nun an und mit dieser grandiosen Wüste im Herzen beginnt für die Menschen dieses Landes die Versuchung. Wen kann es wundern, wenn Geister, die im Angesicht des adligsten Schauspiels und in der verdünnten Luft der Schönheit erzogen sind, sich nicht überzeugen lassen, dass Größe und Güte zusammenwirken können? Eine Intelligenz ohne einen Gott, der sie vollendet, sucht einen Gott in allem, was sie verneint. Borgia ruft beim Betreten des Vatikans: »Jetzt, da Gott uns die päpstliche Würde verliehen hat, müssen wir uns eilen, sie zu genießen.« Und er tut, was er sagt. »Sich eilen« ist das richtige Wort. Und man fühlt in ihm bereits jene Verzweiflung, die so bezeichnend ist für die Lieblinge des Glücks.
Vielleicht irre ich mich. Denn schließlich war ich in Florenz glücklich und viele andere vor mir. Aber was ist das Glück anderes als jener einfache Einklang eines Geschöpfes mit seiner Existenz? Und welcher Einklang von Mensch und Leben wäre lauterer als das zwiefache Bewusstsein: dauern zu wollen und sterben zu müssen? Wenigstens lehrt er uns, sich auf nichts zu verlassen und in der Gegenwart die einzige Wahrheit zu erblicken, die uns als »Zulage« gegönnt ist. Ich begreife wohl, dass man mir sagt: »Italien, das Mittelmeer: antiker Boden, wo alles sich in menschlichen Maßen hält.« Aber wo denn? Und zeigt mir den Weg! Lasst mich die Augen öffnen, um mein Maß und mein Glück zu finden! Aber ich sehe schon: Fiesole, Djemila und die sonnigen Häfen. Menschliche Maße? Das Schweigen und die toten Steine. Der Rest gehört der Geschichte.
Man sollte aber dennoch nicht hier stehen bleiben; denn es ist nicht gesagt, dass Glück und Optimismus untrennbar zusammengehören. Glück und Liebe gehören zusammen – was nicht dasselbe ist. Und ich kenne Zeiten und Orte, wo das Glück so bitter erscheinen kann, dass man ihm seine Versprechungen vorzieht. Aber das kommt daher, dass ich in jenen Zeiten oder an jenen Orten nicht genügend Herz hatte zu lieben, will sagen, nicht zu verzichten. Wovon ich hier reden will, das ist die Aufnahme des Menschen in die Feier der Erde und der Schönheit. Denn in diesem Augenblick wirft er, wie der Neophyt seine letzten Schleier, vor seinem Gott die kleine Münze seiner Persönlichkeit fort. Ja, es gibt ein höheres Glück, wo das Glück eitel zu sein scheint. In Florenz stieg ich die Boboligärten hinauf bis zu einer Terrasse, von der man den Monte Oliveto und die Hügel der Stadt bis zum Horizont vor sich liegen sah. Auf allen Hügeln waren die Ölbäume bleich wie kleine Rauchwolken; und in dem leichten Nebel, den sie bildeten, zeichneten sich die härteren hohen Zypressen ab: grün in der Nähe und schwarz in der Ferne. Der Himmel, in dessen tiefes Blau man hineinsah, war von mächtigen Wolken unterbrochen. Als der Nachmittag zu Ende ging, verbreitete sich ein silbernes Licht, das alles in Stille verwandelte. Der höchste Hügel war anfangs in den Wolken. Aber ein Wind hatte sich erhoben, und ich fühlte seinen Atem auf meinem Gesicht. Vor ihm traten die Wolken über den Hügeln auseinander wie ein sich öffnender Vorhang. Im gleichen Augenblick schien es, als wüchsen die Zypressen auf den Gipfeln plötzlich höher hinein ins befreite Blau. Die ganze Hügelwelt mit ihren Steinen und Ölbäumen hob sich langsam ihnen nach. Andere Wolken kamen. Der Vorhang schloss sich, und die
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