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Hochzeit des Lichts (German Edition)

Hochzeit des Lichts (German Edition)

Titel: Hochzeit des Lichts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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ihn. Das überkommt einen so in Oran. Da ist ein Künstler mit klingendem Namen, der ein unbedeutendes Werk hinterlassen hat. Einige Tausend Menschen sind mit diesen gutmütigen Raubtieren vertraut, die er vor das anspruchsvolle Rathaus gestellt hat. Dies ist auch eine Art, in der Kunst Erfolg zu haben. Es ist klar, dass diese zwei Löwen wie tausend weitere Werke von ganz anderem zeugen als von Talent.
    Kann man diese Gedanken näher bestimmen? Dieses Werk ist unbedeutend und solid. Der Geist hat daran wenig Anteil und die Materie sehr viel. Die Mittelmäßigkeit will mit allen Mitteln fortbestehen. Man verweigert ihr das Recht auf Ewigkeit, und sie nimmt es sich täglich. Ist nicht gerade sie ewig dauernd? Jedenfalls hat diese Hartnäckigkeit etwas Erschütterndes, sie gibt uns eine Lehre wie alle Monumente Orans und wie die Stadt selber. Eine Stunde täglich, einmal unter vielen, zwingt sie uns, an das zu denken, was nicht wichtig ist. Der Geist erholt sich dabei. Es ist ein wenig seine Art von Entspannung, und da er auch unbedingt seine Augenblicke der Erniedrigung braucht, scheint mir dies eine bessere Art von Stumpfsinn als anderes. Alles Vergängliche will fortbestehen. Sagen wir ruhig, dass alles dauern will. Die menschlichen Werke wollen nichts anderes, und in diesem Sinne haben die Löwen Caïns die gleichen Aussichten wie die Ruinen von Angkor. Dies bringt einen zur Bescheidenheit.
    Es gibt noch andere Monumente in Oran. Jedenfalls muss man sie so nennen, weil auch sie für ihre Stadt zeugen und vielleicht auf viel bezeichnendere Art. Es sind die großen Baustellen, die die Küste über mehrere Kilometer hin bedecken. Es gilt, die leuchtendste Bucht in einen Riesenhafen zu verwandeln. Und dies gibt dem Menschen erneut Gelegenheit, sich mit dem Stein zu messen. Auf den Gemälden flämischer Maler kehrt beharrlich das gleiche Thema von bewundernswerter Größe wieder: der Turmbau von Babel. Maßlose Landschaften, Felsen, die sich in den Himmel recken, schroffe Berghänge, wo es wimmelt von Handwerkern, Tieren, Leitern, seltsamen Maschinen, Stricken, Hebeln. Der Mensch ist übrigens nur als Maßstab da, um die ungeheuerliche Größe der Baustelle anschaulich zu machen. Daran denkt man, wenn man im Westen von Oran auf der Küstenstraße steht.
    Schienen, Wägelchen, Kräne, winzige Lastzüge klammern sich am steilen Hang fest. Spielzeuglokomotiven umfahren in der verzehrenden Sonne riesige Felsblöcke, unter Pfeifen, Staub und Rauch. Tag und Nacht ist ein Ameisenvolk auf dem rauchenden Gerippe des Berges tätig. An ein und demselben Seil hängend und auf die vibrierenden automatischen Bohrmaschinen gestützt, kleben ein Dutzend Männer tagelang über dem Abgrund und lösen ganze Wände aus dem Felsen, die unter Staub und Gepolter zusammenstürzen. Etwas weiter werden Wägelchen über den Abhang ausgekippt, und Felsstücke rollen und stürzen sich plötzlich ins Wasser des Meeres; jedem größeren Block folgt ein Hagelschauer kleiner Steine. In regelmäßigen Intervallen, im Herzen der Nacht oder am hellen Tag, erschüttern Sprengungen das ganze Gebirge und wühlen selbst das Meer auf.
    Hier greift der Mensch den Stein frontal an. Und könnte man für einen Augenblick die harte Sklaverei dieser Arbeit vergessen, wäre man voller Bewunderung. Diese Steine, aus den Flanken des Berges gerissen, dienen dem Werk des Menschen. Sie lagern sich unter den Wellen, tauchen auf und ordnen sich allmählich zu einem Damm, der bald von Männern und Maschinen bedeckt ist und Tag um Tag weiter fortschreitet. Ohne Unterbrechung wühlen riesige stählerne Zähne im Innern der Felsküste, drehen sich um sich selber und speien das Zuviel an Steinen ins Wasser. Mehr und mehr schwindet die Corniche, und die ganze Küste wächst unaufhaltsam ins Meer.
    Allerdings kann man den Stein nicht zerstören. Man kann ihn nur versetzen. Er wird länger dauern als alle die Menschen, die von ihm Gebrauch machen. Gegenwärtig unterstützt er ihren Willen zur Tätigkeit. Auch das ist wahrscheinlich unnötig. Doch die Dinge zu verlagern ist die Arbeit der Menschen: Man muss zwischen diesem Tun und dem Nichtstun wählen. Diese Anstrengung ist einen Versuch wert. Man muss ihn unternommen haben. Danach kann man handeln oder auch nicht, und zwar in Kenntnis der Sachlage. Die Leute von Oran haben sichtlich gewählt. Vor dieser gleichgültigen Bucht werden sie noch jahrelang Steine die Küste entlang aufhäufen. In hundert Jahren, das heißt morgen,

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