Hochzeit des Lichts (German Edition)
verlangt Camus nichts Geringeres als die bedingungslose Liebe zum Leben und meint damit ein so erfülltes, mit allem Anwesenden vermähltes Dasein, dass es keiner höheren Instanz bedarf. In
Noces
spricht er von »richesse présente«, dem gegenwärtigen Reichtum: »Hier begreife ich den höchsten Ruhm der Erde: das Recht zu unermesslicher Liebe. Es gibt nur diese eine, einzige Liebe in der Welt.«
2 Sommer
Nach der Veröffentlichung von
Noces
vergingen anderthalb Jahrzehnte, ehe Camus 1954 mit
L’été
erneut literarische Essays vorlegte. In fünfzehn Jahren hatte sich sein Leben von Grund auf gewandelt. Noch während der deutschen Besatzung erschienen
Der Fremde
und
Der Mythos von Sisyphos,
Bücher, die ihn als Vermesser des Absurden europaweit bekannt machten. Er wurde Gallimard-Autor, dann auch Gallimard-Lektor. 1943 stieß er zur Widerstandszeitung »Combat«. Kämpferische Leitartikel machten ihn zum Sprachrohr der Résistance. 1945 brachte seine zweite Frau Francine Zwillinge zur Welt. 1947 erschien
Die Pest,
in den Jahren darauf die Stücke
Der Belagerungszustand
und
Die Gerechten,
Camus’ Werke, mit denen er sich der Auslotung von Totalitarismus und Revolte zuwandte. Romancier, Dramatiker, Essayist, Philosoph, Widerstandskämpfer, moralisches Gewissen – in den Jahren nach Kriegsende wurde er zur gefeierten Pariser Ikone, zum intellektuellen Humphrey Bogart aus der Rue Madame und hatte plötzlich so einflussreiche Neider wie Simone de Beauvoir und den einstigen Mitstreiter Jean-Paul Sartre. Als Camus 1951 die politisch-philosophische Abhandlung
L’homme révolté
veröffentlichte, schien der Zenit seiner Karriere abrupt überschritten. Linke Kritiker, allen voran Sartre, verunglimpften
Der Mensch in der Revolte
als antikommunistisches Machwerk und überambitioniertes Geschwätz.
Nach dem Bruch mit Sartre kehrte Camus dem Pariser Kulturbetrieb den Rücken. In Avignon und Angers arbeitete er am Theater. Er zog sich zurück im Luberon, fand aber kein Mittel gegen eine Schreibblockade, die ihn fast die Hälfte der Fünfzigerjahre lähmen sollte. Seine Ehe drohte zu zerbrechen. Er hatte Geliebte, so die Schauspielerin Maria Casarès, der andere folgten. In Paris erlitt Francine auch seinetwegen einen Nervenzusammenbruch. Ebenso alarmierend war die politische Lage. Die Sowjets schlugen in Ostberlin den Arbeiteraufstand nieder. Als in Algier Bomben gegen die Kolonialmacht detonierten, kündigte sich der Algerienkrieg an. Camus nahm eine Fähre übers Mittelmeer, um seine Mutter zu besuchen, und fuhr von Belcourt aus zu seinen Lieblingsorten, nach Djemila und Tipasa.
Vor diesem geschichtlich wie biografisch zerrütteten Hintergrund entwickeln die sieben Essays von
L’été
und das die Sammlung abschließende »Bordtagebuch« die atemberaubende Pracht ihrer Anschaulichkeit und schonungslosen Ausleuchtung moderner Konflikte. Doch stellt
Heimkehr nach Tipasa
nicht nur eine Rückkehr an die Küste der verloren gehenden Heimat dar. Die Einbettung der antiken Mythen vom Minotaurus, von Prometheus oder Helena in die Darstellung von Kriegswirren, Befreiungseuphorie und saturierter De-Gaulle-Jahre ist ebenso eine Rückbesinnung auf Camus’ literarische Wurzeln. Packend und lebenswarm, so kontemplativ wie eruptiv, zweifelnd und dabei glasklar, führt
Heimkehr nach Tipasa
in vielfacher Hinsicht
Hochzeit des Lichts
fort, das verdeutlichen schon die Entstehungsdaten der Essays, die unmittelbar an jene der
Noces
anschließen und von 1939 bis 1953 reichen. »Und ebenso führen jenseits der gelben Mauern Orans das Meer und die Erde ihre gleichgültige Zwiesprache weiter«, heißt es wie als Echo auf
Die Wüste
in
Minotaurus.
»Die Welt sagt niemals nur eine Sache, von der man erst gepackt, bald aber ihrer überdrüssig wird. Doch schließlich siegt die Welt durch ihre Beharrlichkeit. Sie hat immer recht.«
Verglichen mit dem poetischen Furor von
Der Wind in Djemila
oder
Sommer in Algier
aus
Hochzeit des Lichts
wirkt Camus’ Sprache in
Heimkehr nach Tipasa
luzider und oft wie befreit.
L’été
– Sommer. Tatsächlich scheint es, als wäre der Überdruck in den bis zum Bersten mit Bildern angefüllten Sätzen einem lichten, maßvollen Parlando gewichen. So ist der kürzeste Essay zugleich der schönste und kräftigste: »Wir müssen das Zerrissene zusammenfügen, einer so offensichtlich ungerechten Welt die Vorstellung der Gerechtigkeit wiederbringen und den vom Unheil des Jahrhunderts vergifteten Völkern die Bedeutung
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