Hochzeit im Herrenhaus
entschied mich für Greythorpes Lieblingsjagdpferd.” Sein Lächeln wirkte fast gewinnend. “Und Sie, meine liebe Miss Milbank, werden die Rolle meines Reitknechts übernehmen und sich nützlich machen. Damit können Sie mich wenigstens halbwegs für die Schwierigkeiten entschädigen, die ich Ihnen verdanke.”
“Verdammt will ich sein, wenn ich das tue!”, fauchte Annis, um nach langer Zeit wieder einmal die Ausdrucksweise ihres verstorbenen Großvaters zu benutzen.
“Wenn Sie sich weigern, werden Sie’s bereuen”, mahnte er, trat beiseite und enthüllte, was sein weiter Umhang verborgen hatte.
Verzweifelt rang sie nach Atem. Vor lauter Entsetzen über Charles Fanhopes Anwesenheit im Stall hatte sie Rosie ganz vergessen.
Ohne an ihre eigene Sicherheit zu denken, stieß sie ihn beiseite, brachte ihn beinahe aus dem Gleichgewicht und kniete neben dem reglosen Hündchen nieder. Erst nachdem sie sich vergewissert hatte, dass es nach einem Schlag auf den Kopf nur bewusstlos war, drehte sie sich zu dem Mann um, der hinter ihr stand.
“Eigentlich sollten Sie mir danken, Miss Milbank, statt mich so vernichtend anzustarren. Immerhin habe ich das widerwärtige Biest nur bewusstlos geschlagen, nachdem es so dreist war, mich ins Bein zu beißen. Genauso gut hätte ich es erwürgen können.” Obwohl er nicht ganz nüchtern war, gelang es ihm, ein Holzscheit aufzuheben – die Waffe, mit der er Rosies Angriff abgewehrt hatte.
Als Annis versuchte, ihm das Stück Holz zu entreißen, entfernte er es grinsend aus ihrer Reichweite.
“Falls Sie nicht das gleiche Schicksal erleiden wollen wie dieser elende Köter, werden Sie meinen Befehl befolgen. Und zwar sofort!”
Vor einem Mord mochte er zurückschrecken. Aber sicher nicht vor der Misshandlung einer wehrlosen Frau. Widerstrebend stand sie auf.
Seit ihrer Ankunft hatte sie den Stall schon oft besucht und jedes Mal ein paar Leckerbissen mitgenommen. Deshalb freuten sich die Pferde immer wieder, wenn sie zu ihnen kam. Das kostbare Jagdpferd Seiner Lordschaft – allen Fremden feindselig gesinnt – hatte sich schon bald an sie gewöhnt. Obwohl ihm die unübliche Störung zu dieser späten Stunde sichtlich missfiel, rebellierte es nicht, als Annis seine Box betrat.
Widerstandslos ließ sich der Hengst das Zaumzeug anlegen. Während sie die Riemen festzurrte, hörte sie ein leises Geräusch, das aus dem Stallhof drang. So langsam wie möglich führte sie den großen Braunen aus der Box und warf verstohlen einen Blick zum Tor. Fanhope hatte anscheinend nichts bemerkt. Natürlich konnte eine Ratte oder ein Dachs im Hof umherhuschen, auf der Suche nach Nahrung. Andererseits war es möglich, dass ein Stallbursche oder sogar Wilks die Stimmen in diesem Teil der Stallungen gehört hatte und nachsehen wollte, was das bedeutete. Falls diese Vermutung zutraf, musste sie Fanhope ablenken, damit ihr Retter unbemerkt hereinkommen konnte.
“Glauben Sie wirklich, Sie können mit Assaye umgehen? Der Viscount ist ein ausgezeichneter Reiter. Sogar er findet diesen Hengst manchmal ziemlich widerspenstig.”
“Glauben Sie mir, Miss Milbank, Ihre Sorge um mein Wohl ist völlig deplatziert”, entgegnete Fanhope herablassend.
Während er eine Kerze hinter sich in ein Regal stellte, überlegte Annis, dass sie nur wenige Menschen kannte, die sie so abgrundtief verachtete wie Charles Fanhope. Hätte der Baron nicht ihr Mitgefühl erregt, würde sie beinahe wünschen, sein egoistischer Sprössling würde von Pferd stürzen und sich den Hals brechen.
Sofort verdrängte sie den verwerflichen Gedanken und beobachtete, wie er den Sattel ergriff, den er offenbar schon früher aus dem Zeugraum geholt hatte. In aller Eile sattelte er das Pferd. Allem Anschein nach traute er ihr nicht zu, diese Aufgabe zufriedenstellend zu erfüllen, und erledigte sie lieber selbst. Und dann sah sie zu ihrer maßlosen Freude, wie das Tor langsam aufschwang und der Mann, den sie über alles liebte, lautlos hereinschlich.
“So leid es mir tut, Miss Milbank, bis zum nächsten Morgen muss ich Ihnen einige Unannehmlichkeiten zumuten”, verkündete Fanhope. “Da Sie so unglaublich klug sind, werden Sie das sicher verstehen. Ich kann Sie unmöglich zurücklassen, sonst würden Sie Alarm schlagen, sobald ich davongeritten bin. Deshalb muss ich Sie fesseln und knebeln – und ich hoffe, Sie sind nicht so dumm, mich daran zu hindern.”
“Miss Milbank vielleicht nicht – aber ich!”
Entgeistert zuckte Charles
Weitere Kostenlose Bücher