Hochzeit in St. George (German Edition)
Damit niemand Verdacht schöpfen konnte, hatte sie tatsächlich Besorgungen gemacht. Nun legte sie ein Päckchen Nähnadeln und ein Paket Wachskerzen auf den Tisch. Natürlich konnte Hermes sein Geheimnis nicht für sich behalten. »Wir haben die Schatztruhe geholt, Miss Hetty und ich. Und jetzt gehört sie wieder uns«, rief er seiner Tante triumphierend entgegen.
Mrs. Mellvin war mit ihren Gedanken bei der bevorstehenden Abreise und hörte die Aussage ihres Neffen nur mit halbem Ohr.
»Ja ist gut, Hermes«, antwortete sie ihm zerstreut. »Und nun wasch dir die Hände, bevor du dich zu Tisch setzt.«
Erst als sie in das obere Geschoß stieg, um Mantel und Hut in ihr Zimmer zu legen, drangen die Worte des Knaben voll in ihr Bewußtsein. Miss Hetty hatte die Schatztruhe geholt? Doch nicht etwa das Geld der Willowbys, das ihr zur Verwaltung übergeben worden war. Was aber sonst sollte Hermes gemeint haben? Ein Blick zum Nachttisch bestätigte den grauenhaften Verdacht. Hoffentlich befand sich die Truhe noch nicht in den Händen des Viscount. Dann war es ausgeschlossen, daß sie je wieder in ihre Verfügung geraten könnte. Eine Unverschämtheit von dem Mädchen, ihr die Truhe hinter ihrem Rücken wegzunehmen. Na warte, was Miss Hetty konnte, das konnte sie schon lange. Mit energischen Schritten eilte sie in das erste Obergeschoß zurück, klopfte vorsichtshalber an Hettys Tür, und als niemand antwortete, trat sie rasch ein. Die Truhe war rasch gefunden, und ebenso rasch hatte sie sie wieder nach oben in ihr Zimmer zurückgebracht. Sie stellte sie hinter der Tür ab. Keinen Augenblick zu früh, denn in diesen Moment klopfte Kermin an ihre Tür. »Können Sie mir sagen, wo ich Lady Willowbys Koffer finde?« erkundigte er sich, als sie öffnete.
Mrs. Mellvin zeigte ihm bereitwillig den Weg.
»Ihre Ladyschaft will verreisen?«, fragte sie mit scheinheiligem Interesse. Kermin murmelte Unverständliches.
In dieser Nacht fanden Catharine und Richard keinen Schlaf. Eng aneinandergeschmiegt lagen sie wach und starrten auf die Koffer, die sich im Mondschein wie große schwarze Ungeheuer an ihrem Bettende türmten. Zwei der Koffer und die Hutschachteln waren bereits gepackt. Der große Schrankkoffer würde am nächsten Tag folgen. Catharine hatte beschlossen, zuerst nach London zu reisen, um ihren Bruder aufzusuchen und die Heiratsurkunde zu verlangen. Sollten diese Bemühungen vergeblich sein, so wollte sie die weite Reise bis Florenz auf sich nehmen, um Jeannette de la Falaise nach England zu holen. Da Richard an Wild Rose Manor gebunden war, sollte Kermin sie auf der Reise begleiten.
»Paß gut auf dich auf«, flüsterte ihr Richard ins Ohr. »Und vergiß nicht, daß ich dich liebe und daß ich voller Sehnsucht darauf warte, daß du zurückkommst. Sobald der Mord an meinem Vater aufgeklärt ist, reise ich dir entgegen.«
»Ich liebe dich auch, Richard«, sagte Catharine zärtlich. »Wir werden sicher einen Ausweg finden. Vielleicht muß ich gar nicht nach Italien. Vielleicht kommt Henry mit mir nach Winchester.« Sie seufzte. Ob sich ihr schwacher Bruder wirklich jemals gegen seine dominante Frau stellen würde?
»Wenn ich doch mit dir kommen könnte!« stöhnte Richard. »Wenn dieses Riesending von einem Koffer einen doppelten Boden hätte, in dem ich mich verstecken könnte.«
Catharine lachte leise auf. »Er hat ja einen doppelten Boden«, Sagte sie. »Dennoch bezweifle ich…« Sie hielt abrupt inne und setzte sich mit einem Ruck im Bett auf. Dennoch bezweifle ich, daß du darin Platz finden würdest, hatte sie sagen wollen. Doch da war ihr siedend heiß ganz etwas anderes eingefallen.
»Was ist los?« erkundigte sich Richard verwirrt. »Hast du einen Geist gesehen?«
Catharine schüttelte ungeduldig den Kopf und sprang aus dem Bett. Mit raschen Fingern öffnete sie den Verschluß des Koffers, hob den Deckel und durchsuchte das Innere. Es hatte fast den Anschein, als würde sie völlig in dem großen Gepäckstück verschwinden. Richard hatte sich im Bett aufgesetzt und wartete ungeduldig auf eine Erklärung. Er konnte sich keinen Reim darauf machen, warum Catharine den leeren Koffer durchsuchte. Nach wenigen Augenblicken tauchte sie wieder auf, eine Rolle weißen Papiers in der Rechten. Tränen liefenüber ihre Wangen. Doch diesmal waren es Tränen der Freude.
»Ich habe sie!« flüsterte sie. »Ich habe sie.«
»Wen hast du? Zeig her. Was ist das für ein Papier?« wollte Richard wissen.
»Die
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