Hochzeit in St. George (German Edition)
hinunter. Es klang, als würde jemand mit voller Kraft mit den Fäusten gegen eine Tür trommeln. Sie schwiegen und lauschten gespannt, woher die Geräusche kommen konnten. War da nicht auch eine flehende Stimme zu hören, die »Aufmachen!« brüllte? Richard stürzte die Treppe empor, gefolgt von Catharine und den beiden Uniformierten. Im Flur begegnete ihnen der Diener, der ebenfalls die Ursache dieser Geräusche zu suchen schien. »Charles!« rief Richard. »Holen Sie Mrs. Mellvin.«
»Bedaure, Mylord«, antwortete dieser. »Mrs. Mellvin ist abgereist.« Richard blieb abrupt stehen. »Abgereist?« wiederholte er fassungslos.
»Aufmachen!« schrie die Stimme. Es war eindeutig Hetty. »Hört mich denn keiner? Aufmachen! Man hat uns eingesperrt!«
Jetzt war auch Hermes' lautes Weinen zu hören.
»Sehen Sie zu, daß Sie die Dame befreien. Wir werden uns im Zimmer von Mrs. Mellvin umsehen«, schlug der Inspektor vor. »Ich komme mit Ihnen«, beschloß Catharine.
Richard war bei der Tür zum Zimmer seiner Schwester angelangt. »Ich bin da, Hetty«, rief er. »Hier steckt kein Schlüssel. Wissen Sie, wo sich der Ersatzschlüssel befindet, Charles?«
Der Diener schüttelte bedauernd den Kopf.
»Tritt zurück, Hetty. Wir brechen die Tür auf. Kommen Sie, Charles!« Mit vereinten Kräften donnerten sie gegen das Türblatt.
»Noch einmal, und wir sind bei dir«, keuchte Richard, während er mit Anlauf noch einmal gegen die Türe sprang. Ächzend gab sie nach. Richard kletterte durch die Öffnung und schloß seine aufgeregte Schwester in die Arme. Mit einer Hand tätschelte er Hermes' Kopf , um den kleinen Jungen zu beruhigen.
»Kann mir jemand sagen, was das zu bedeuten hat?« fragte Hetty ungehalten. »Ich kam vor etwa einer halben Stunde mit Hermes von einem Spaziergang zurück. Wir wollten wie jeden Tag die gesammelten Steine in unsere Schatztruhe legen. Leider klemmte der Schlüssel, und ich bemühte mich eine Zeitlang, die Truhe zu öffnen. Doch vergebens. Als ich Charles zu Hilfe holen wollte, konnte ich auch die Zimmertür nicht mehr öffnen. Es war wie verhext. Ich habe getrommelt und gerufen, aber niemand hörte mich.«
»Vermutlich hat dich Mrs. Mellvin eingesperrt, bevor sie abreiste«, erklärte ihr Richard.
»Mrs. Mellvin? Abgereiste« wiederholte Hetty verständnislos.
»Sieh mal, was wir gefunden haben!« rief Catharine, die hinter der kaputten Tür sichtbar wurde. »Mrs. Mellvin hat uns ein Schreiben hinterlassen.«
»Es handelt sich dabei eindeutig um die Schrift der Haushälterin«, bestätigte der Inspektor, der ebenfalls zurückgekommen war, mit wichtiger Miene.
»Lies vor!« forderte Richard sie ungeduldig auf.
»Mylord«, begann Catharine zu lesen. »Sie haben sicher soeben erfahren, daß ich mit Ihrem Vater, dem Viscount, rechtmäßig verheiratet war und daß Hermes unser gemeinsames Kind ist. Ihr Vater hat sich geweigert, mich der Öffentlichkeit als seine Gattin zu präsentieren. Das habe ich ihm nie verziehen. Ich habe alles versucht, um wenigstens meinem Sohn eine unbeschwerte Zukunft zu sichern. Ich versuchte, den Viscount dazu zu veranlassen, Sie zu enterben. Doch am Abend, als er starb, teilte er mir mit, daß er das nicht übers Herz brächte. Trotz der zahlreichen Beweise für Ihren liederlichen Lebenswandel, die ich gesammelt hatte. Ich habe Ihren Vater trotzdem nicht umgebracht. Er starb plötzlich während des Streites, den wir hatten, als Sie bereits zu Bett gegangen waren. Er riß die Augen auf, griff sich ans Herz, und bevor ich etwas unternehmen konnte, sank sein Kopf nach vorne auf die Tischplatte, und er war tot. Ich habe ihm dann die kleine Marmorstatue über den Kopf gezogen, damit es wie Mord aussieht. Und ich wollte, daß Sie als Mörder verhaftet werden. Ich weiß, das War unrecht, doch ich tat es für Hermes. Heute bin ich froh, daß es nicht geklappt hat, denn sonst hätte ich Sie auf dem Gewissen. Während Sie diese Zeilen lesen, bin ich mit dem Marquis auf dem Weg nach Frankreich, wo ich ein neues Leben beginnenmöchte. Hermes bleibt bei Ihnen, denn er gehört auf Wild Rose Manor. Ich vertraue darauf, daß Sie gut für Ihren Bruder sorgen. Geld und Garderobe nehme ich mit. Ich finde, beides steht mir zu, nach all dem, was ich hier durchgemacht habe. Leben Sie wohl. Ihre Viscountess Willowby, genannt Mrs. Mellvin.«
»Geld!« fuhr Richard auf. »Sie hat doch nicht etwa die Kasse mitgenommen? Rasch, Inspektor, wir müssen ihr nach! Wir müssen die beiden
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