Hochzeit ins Glück (Fürstentraum) (German Edition)
sowieso niemand außer mir zu Gesicht.
Das kann mal wohl sagen. Wirklich tragisch.
Klappe.
Sie tauschte die Bürokluft gegen Sweatshirt und Jogginghose und hing die guten Sachen in den Wandschrank. In ihren Wohlfühlklamotten und auf Strümpfen ging sie in die Küche, um sich nach etwas Eßbarem umzusehen. Vor der Balkontür saß ein kleiner, schwarzer Kater mit salzgrünen Augen.
“Hallo, Stan”, sagte Christine freundlich.
Der Kater sah sie aufmerksam an, sagte aber nichts, während Christine in der Küche herumstöberte. Aus Sicht des Katers war die Versorgungslage hier einigermaßen unsicher, da Christine oft Überstunden machte und beim Einkaufen regelmäßig das Katzenfutter vergaß. In ihrer Not griff sie dann zu Lachs, Sahne oder was immer der Kühlschrank eben hergab. Stan nahm es, wie es kam, in der pragmatischen Art, die den Stubentigern eigen ist.
Wie das Tier überhaupt in den vierten Stock gelangte, war unklar. Christine nahm an, daß er aus einer Nachbarwohnung über die Balkone kletterte, hatte ihn aber noch nie dabei beobachten können. Daß er aus dem Erdgeschoß bis hier hoch kam, schien ihr unmöglich, aber bei Katzen wußte man ja nie. Als der Kater vor etwa einem Jahr das erste Mal bei ihr aufgetaucht war, hatte sie nach einem Namen für ihn gesucht und war schließlich bei Stan Laurel fündig geworden, mit dem der Kater den ständig verwirrten Gesichtsausdruck gemeinsam hatte. Genauso unbemerkt wie er kam, verschwand Stan gewöhnlich nach einer Weile wieder, jedenfalls sofern sie daran gedacht hatte, die Balkontür offen zu lassen.
Christine wurde fündig und stellte ihm etwas Thunfisch und eine Schale Milch hin. Der Kater machte sich geräuschvoll über sein Abendessen her und verteilte dabei reichlich Milch auf den Fliesen.
Christine sah unterdessen nach ihrem Ficus, der schon seit Wochen den Kopf hängen ließ.
Anspruchsvolle Pflanzen sind nichts für berufstätige Frauen, dachte sie und sammelte die vertrockneten Blätter auf. Vielleicht müßte ich mal mit ihm reden, manchmal soll das ja helfen. Wenn ich den hier wieder nicht durchbringe, steige ich endgültig auf Kakteen um. Oder auf Plastikpflanzen, die kann man heutzutage vom Original nicht mehr unterscheiden.
Mit ihrem Abendessen, bestehend aus Joghurt, Tee und einem Apfel, machte sie es sich schließlich auf der Couch bequem und griff nach der Fernbedienung. Fernseher an. Nichts, nichts, nichts, kenn’ ich schon, nichts, nichts. Dreißig Programme und alles Müll. Fernseher aus. Soweit Christine wußte, zahlte keiner der Bewohner des Hauses Fernsehgebühren. Im regelmäßigen Abständen versuchten GEZ Spitzel, die Mieter einzuschüchtern, waren aber noch jedes Mal aus dem Haus gelacht worden.
Nur noch die Betriebsfeier überstehen, dann nach Hause... - mit diesem Gedanken schlief Christine auf der Couch ein. Stan sah ihr eine Weile dabei zu, dann wurde es ihm zu langweilig, und er schlich sich leise über den Balkon davon.
3
Mathilde von Hohenthann hatte es sich in ihrem Lieblingsplatz am Kamin gemütlich gemacht.
Definitiv zu kalt für die Jahreszeit, dachte sie und fröstelte.
Draußen schien die Sonne, doch dicke Mauern und kleine Butzenscheiben schufen im Innern der Burg ein ganz eigenes Klima, das nicht immer mit dem Wetterbericht übereinstimmte.
Mathilde blickte unschlüssig auf den verlockenden Stapel von Holzscheiten neben dem Kamin.
Ich kann doch nicht im Juni einheizen. Wie sieht denn das aus. Wo ist meine Strickjacke?
Die Fürstin setzte die Lesebrille auf, eines der wenigen Zugeständnisse an ihr Alter, und überflog noch einmal die Gästeliste, die sich wie ein Verzeichnis des deutschen Hochadels las. Sogar der Herzog und die Herzogin von Broock zu Tellin, beide schon hochbetagt, hatten die Einladung bestätigt. Der Herzog war als kleiner Junge Kaiser Franz-Josef I. von Österreich-Ungarn und dessen Neffen, dem unglücklichen Thronfolger, noch persönlich begegnet. Für einen Augenblick blendete die Fürstin die bundesdeutsche Wirklichkeit aus und gab sich ganz ihrer Nostalgie hin.
Wie es wohl gewesen sein muß, all das selbst zu erleben, wovon wir nur im Geschichtsunterricht gehört haben. Kaiser, Könige und Diktatoren. Zwei Weltkriege, Inflation, Währungsreform, der eiserne Vorhang. Unglaublich.
Der Ursprung der Familie verlor sich im Dunkel der Vergangenheit, aber Mathilde hätte es nicht im mindesten gewundert, wenn die Broocks schon zur Zeit der
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